10.2.2020

Entweder sein Gröbstes verschlafen, oder der nächtliche Sturm war doch kein Grobian. Heute früh jedenfalls eine Wetterlage wie an der Küste: Sonnig und blitzblau mit schnell fliegenden Wolken, dann bleigrau mit Regen vor dem rückwärtigen Fenster und vorne ein ähnliches Bild bei anderem Licht. Das Mandelbäumle, das ich gestern bei Sonnenuntergang noch hereingeräumt hatte, es bleibt heute den Tag über drin. Schön steht es da, als Artefakt unter lauter Möbeln, mit seinen rosa Blüten und vielen Knospen. Wie sehr man sich an den zarten Blüten freut (bei den größeren geht es scheinbar darum, dass sie als haltbar sich beweisen — man befrage hierzu den Besitzer eines Magnolienbaumes) — je hauchfeiner desto kostbarer; wie gestern nachmittag, als wir am Mainufer unter den Platanen die wie in Lachen über den Schlamm ausgegossenen Krokusse fanden, lieblich in violett und darunter, unter hunderten, genau ein einziger in Dottergelb. Anderorts blühte der Winterling. Und zwischen den Ästen des Schneeballs stand flirrend eine Art Motte mit beigem Fell am plumpen Leib, die mit einer langen Schlürfröhre aus den magentafarbenen Winzlingen soff, die auch für unsere Nasen schon herrlich seifig dufteten. Da hatte ich, als Heimkehrer von der Insel des Docor Bird, die Entstehung der Arten direkt vor meinen Augen geschaut: Aus solchem Insekt war also der kolibrihafte Mikrovogel mutiert (liest sich unschön). Noch unschöner finde ich freilich das Rezept für das chinesische S(ch)uppentier Pangolin, von dem nun, nein: das jetzt in aller Munde ist: Man würzt die angeblich lebensverlängernde Suppe mit den Schuppen des Tiers einer aussterbenden Art und schmeisst den Rest in den Müll.

Kann jetzt Lorenz Jäger wieder etwas besser verstehen, der neulich, das war noch im alten Jahr und vor der Entdeckung des Corona-Virus am Rande eines Vortrages des ehemaligen Botschafters in Peking und Tokio zu mir sagte «Mein Grund, warum ich mich vor Chinesen fürchte: Keinerlei Nahrungstabus.»