10.5.

Im Oktober erhält Jonathan Franzen nach Houellebecq und Hans Magnus Enzensberger den Frank-Schirrmacher-Preis. Die Laudatio hält Sascha Lobo. Wie Frank Schirrmacher selbst einst festgestellt hat, wird in Deutschland jeden Morgen der Neid begossen, wie in Holland die Tomaten. So auch meiner, denn ich lebe ja hier.

An der Liebesgeschichte von Brigitte und Emmanuel Macron begeistert mich freilich die Anekdote, dass die beiden während der gemeinsamen Lektüre eines Textes, also in der von mir als heilig erachteten Schrift, zueinander gefunden haben. Als Lesende – zunächst der Schrift an sich, und dann auch einander. Ich selbst kann mir wie schon gesagt nicht mehr vorstellen, wie Menschen noch einander auf anderem Wege kennenlernen sollten als von innen nach außen.

Las das und stellte beim Verlassen des Cafés leider fest, dass dies dem Creamcheese benachbarte Restaurant Florian nun geschlossen ward. Das Schild war schon ab und auf den Tischdecken sammelte sich Staub. Dort wurde ich vor nun 20 Jahren von Franz Josef Wagner in die Tradition der Blauen Zipfel eingeführt. Also einer fränkischen – Wagner ist, wie Ulf Poschardt und Juergen Teller ein aus Schlesien vertriebener Franke – Sitte, vor Mitternacht die bekannten Rostbratwürste allerdings zunächst roh belassen in einem sauer angemachten Sud gar gezogen aufzutragen. In Westberlin, insbesondere in dieser Gegend um den einst als Intellektuellenrevier geradezu verschrieenen Savignyplatz, war diese ungewöhnliche Spezialität unter dem Kampfnamen Apo-Zipfel bekannt.

Na gut. Jetzt gibt es die hier halt nicht mehr. Die Nachbarswirtin weiß, dass es an einem Fehlverkauf seitens der Ursprungsbesitzerinnen gelegen haben wird. »Soziale Marktwirtschaft, I know every inch of you«, wie Jochen Diestelmeyer einst so richtig gedichtet hat. Infolgedessen nun: Insolvenz. Vielleicht, nein: ganz sicher bin ich auch deswegen kein Fan der Salonliberalen. Es geht ja schon längst nicht mehr um eine Befreiung vom Ballast der Bürokratie und um ein Mehr an einer noch zu gewinnenden Freiheit für das alles dann richtende Unternehmertum. Ich habe im größten Pressehaus Europas gearbeitet, festangestellt, da stand auf den von der Aktiengesellschaft für die Redaktion spendierten Tassen (es handelte sich um sogenannte mugs) aufgedruckt: »Bei Anruf Kunde« – krasses Statement zur Pressefreiheit. Vermutlich steht da jetzt »Free Deniz« drauf. Ist ja auch egal.

Die Ideologie ist doch längst nichts weiter mehr als »ein kraftloses Rühren im Brei kapitalistischer Verwesung« – um jetzt mal Thomas Mann möglichst ungenau und dazu noch schräg zu zitieren.

Dieser Zauberberg, anfang des sogenannten Milleniums noch besungen, hat sich als der Sitz des Alten vom Berge entpuppt (sorry!!!). Statt Haschischöl gibt es nun die Versprechung vom Frischen Geld (oh jemine). Was Thomas Mann, dem Rostocker, gefallen dürfte, ist aber sein Endsieg der Ironie (awww!).

Frank Schirrmacher, Friede seiner Asche, hat zu Lebzeiten unter anderem behauptet, es lebte sich nirgendwo anders, nirgends so angenehm, nirgends so reich als Schreibender, denn hier, bei den Neidlandwirten in Deutschland. Angeblich hatte er Zahlen vorliegen.

Ich habe bis heute noch nichts davon mitbekommen, was wohl an mir, was an meiner Schreibkraft liegen wird. Aber ich kenne Sascha Lobo. Und ich habe die Bücher Jonathan Franzens gelesen.

Ich liebe, und allein deshalb gibt mir der Wahlsieg Emmanuel Macrons auch Hoffnung – für die Grande Nation, die ich liebe; für Deutschland, Land der Dichter und Denker – ich liebe die von mir als heilig betrachtete Schrift.

Und wer sich in diese Schrift vertiefend verliebt, der kann nur einer von meiner Art sein. Ein hoffentlich guter Mensch.