11.10.

Kryptische Nachricht von Jochim Lottmann (für meine um Erläuterung bittende Nachfrage war er freilich nicht zu erreichen gewesen) auf einer bereits mehrfach genutzten Servicepostkarte der Wiener Elektrizitätswerke, die ich am Nachmittag in meinem Briefkasten gefunden hatte: Ich sollte mich pünktlich um 19 Uhr 30 im Deutschen Theater einfinden. »Bring bitte eine Prinz Heinrich-Mütze mit, und trage diese beim Betreten des Gebäudes gut sichtbar. Beispielsweise auf Deinem Kopf.«

Es regnete bereits, als ich, wie mir geheißen ward, das Foyer betrat. Für die Hostessen der Frankfurter Allgemeinen musste es so ausgesehen haben, als ob mein Gesicht von Tränen überströmt war, dabei waren das die Regentropfen, die vom Rand des Mützenschirms mir in die Stirn geweht worden waren. Mit kurzem Blick auf diese Mütze wurde ich offenbar als einer der geladenen Gäste für die intime Feier zur Verleihung des Michael-Althen-Preises für Kritik identifiziert. Jedenfalls sah ich, wie eine meinen Namen von ihrer Liste strich. Damit war ich sozusagen drin und wurde eingelassen.

Im ersten Stockwerk, an der kleinen Bar des mit Raunen gefüllten Festsaales, regierte Joachim Lottmann im Kreise seiner Anhänger. Ich hegte gemischte Gefühle, denn mir war ja inzwischen klar, dass ich mich vor einigen Wochen selbst für diesen mit 5000 Euro dotierten Preis beworben hatte. Verliehen wurde er dann aber an eine mir unbekannte Kunsthistorikerin aus dem Stall der Süddeutschen. Nun war mir mein Erscheinen als Ausgeschiedener irgendwie peinlich. Aber es sprach mich niemand darauf an.

Der ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen, Hans-Werner Kilz, hielt eine Rede, mit der er die schöne Zeit vor der Jahrtausendwende ins Gedächtnis rief, als Michael Althen noch nicht gestorben war und Claudius Seidl, Georg Diez und Niklas Maak in dem damals noch nicht geräumten Redaktionsgebäude an der Sendlinger Strasse ihre Feuilletons schrieben. Niklas Maak und Claudius Seidl waren anwesend. Die Witwe Michael Althens auch. Georg Diez nicht. Thomas Hüetlin, wie ich als Preisgewinner ausgeschieden, war nicht erschienen. Der wusste halt, was sich gehört, war noch vom alten Schlag.

Ich hatte selbst noch gute Erinnerung an diese Zeit in Münchens Sendlinger Strasse, die ja im Nachhinein betrachtet eine Ära war. In der Rede ging es, wie immer, wenn von dieser Ära die Rede war, auch um die Anzüge von Helmut Lang, und niemand hat den Esprit dieser Tage schöner und auch kunstvoller in Szene gesetzt als Christopher Roth, der Autor von 200D, dem ersten Roman der Popliteratur immerhin, in seinem Kurzfilm Hawaii 69, in dem Ulf Poschardt, damals noch mit einem an René Weller geschulten Oberlippenbart, eine tragende Rolle spielt.

Herrliche Rede also, bei der Verlesung des Siegertextes durch die Siegerin selbst nickte ich leider mehrfach ein. Was ich nicht wollte, da ich fürchtete, mir könnte dieses mehrfache Einnicken und gedämpfte Aufschnarchen nach dem Sekundenschlaf von den Umsitzenden als eine dämliche Form meines von Neid motivierten Protestes ausgelegt werden. Ich konnte es aber trotz schärfster Selbstzucht nicht verhindern. Glücklicherweise erkannte mich aber niemand, was wohl an meiner abstrusen Mütze lag. Man verwechselte mich mit dem Sänger und Gitarristen Malakoff Kowalski, in dessen signature look ich durch Lottmann instruiert wider besseren Wissens erschienen war. Kowalski wiederum, der im Gegenstz zu mir geladen wurde, war nämlich nicht erschienen, was wiederum Lottmann im Gegensatz zu mir gewusst haben wird.

Im Anschluss an die Reden wurden Salami-Sticks serviert und Fruchtspieße. Joachim Lottmann übergab mir ein Manuskript eines seiner 35 noch unveröffentlichten Romane. Darin sollte es um seine Zeit als persönlicher Assistent eines Bundestagsabgeordneten in Bonn gehen. Ich war gespannt.