11.10.2019

Wenn ich mich morgens schon auf das Einschlafen am Abend freue und am Abend vor dem Einschlafen auf das Aufwachen am Morgen: Ist das Harmonie?

Den Nachmittag verbrachte ich jedenfalls mir nichts, dir nichts in Melanies Haus auf dem Lande, das mir da aber leider noch nicht ländlich genug gelegen war, sondern halt in genau jener Zone, die direkt nach dem mit einer roten Linie durchgestrichenen Ortschild von Berlin offiziell beginnt (das Schild steht da tatsächlich, wie hundertausendemal sonst noch überall auf dem Bundesgebiet und trotzdem wirkt es unerklärlicherweise extra seltsam, wenn da auf dem vertraut gelben Grund des Blechs dieses Wort durchgestrichen steht «Berlin»).

Der Hund lag unweit von meinem Sitzplatz entfernt auf seinem Kissen und schnaufte und schnüffelte in eine ihm liebe Decke hinein. Diese Atemgeräusche des Hundes steigerten sich periodisch zu einem sahnigen Röcheln. Der Hund heisst Floyd. Ich kenne ihn schon lange. Einige Jahre sind es geworden. Vor allem kenne ich ihn auch noch aus der Zeit vor seiner Operation. Floyd ist eine kleingezüchtete Bulldogge. Vor der Operation, die durch seine samt Wunschgrösse angezüchtete Erbkrankheit unumgänglich geworden war, machte sich der Kleine bei nahezu jedermann beliebt durch seine Fledermausohren, die ihm etwas Alertes verliehen. Die stellt er mittlerweile, im zweiten Jahr nach seinem Aufenthalt in der chirurgischen Abteilung des Tierklinikums, so gut wie nie mehr so schön auf wie früher. Die allermeiste Zeit hängen Floyds Ohren jetzt herunter wie schlapper Salat. Ob das auf seine Gemütsverfassung zurückschliessen lässt, weiss kein Mensch. Man hat ihn damals wohl vom Brustbein bis tief zwischen die recht kurzen Hinterbeine hinunter aufgeschnitten, die Eingeweide beiseite geräumt und ihm die Wirbelsäule über deren gesamte Länge mit einem Gerät glattgefräst. Dann wurden die entkalkten Wirbel mithilfe eines langen Drahtes aus chirurgischem Stahl auf optimiertem Abstand zueinander fixiert. Der zugenähte Floyd brauchte dann noch einige Wochen, bis er sich wieder auf allen Vieren fortbewegen konnte — einem Menschen wäre es ähnlich gegangen. So gummiballhaft, wie ich es aus den wenigen Jahren vor der Operation zu erinnern glaube, kann Floyd sich heute noch immer nicht umherbewegen. Insbesonders wenn er sich beeilt, um beispielsweise einen Neuankömmling in seinem Revier zu begrüssen, entgleitet ihm sein Hinterleib, als ob ihm ein Schelm die Pfoten dort mit Seife eingeschäumt. Folglich führt Floyd inzwischen mehr oder minder freiwillig das Leben einer Fledermaus in Rente. Er liegt auf seinem Kissen, schnauft und röhrt in seine Decke hinein. Melanie meint, die Narkose hat ihm wohl nicht gut getan. Wir tranken Fencheltee und machten einen Plan für Themen eines Leporellos, der in der Vorweihnachtszeit an die Kunden des Cremestübchens verschickt werden soll.

Auf der Heimfahrt freute ich mich richtig auf die Stadt — gerade so, als sei ich ewig weggewesen (oder käme jetzt gleich zum ersten Mal dort an). Ganz auf dem Land, vor allem bei mir daheim, finde ich es herrlich und will immer gleich für immer dort bleiben. Aber im sogenannten Speckgürtel — Speck also wie jenes Ding zwischen Fisch und Fleisch? — halte ich es nie lange aus.