11.1.2020

Sonnenschein am frühen Morgen gab mir ein, die Goldberg Variationen beim Toasten zu hören. Das ist Musik, dachte ich, die ganz in der Tastatur entstanden ist, auf der sie gespielt werden sollte. Ich kann da keine anderen Einflüsse hören, nichts von ausserhalb der Tastatur. Zumindest so, wie Glenn Gould sie spielt: Als Gesang der Tasten.

Liess mich dann freilich vom Wetter verlocken, doch einen Ausflug auf den Markt zu machen — entgegen der Vernunft. Der Ausflug war herrlich, auf dem Markt war es allerdings nicht so gut. Man hatte mein Ziel an ganze Hundertschaften verraten. Selbst vor den Salatmönchen, die wie an jedem Samstag aus ihrer umländlichen Klause angerückt waren, hatte sich pantomimisch eine Schlange aus Wartenden formiert. Dito vor dem Grill des Wiesener Rindswurstgurus … Ich nahm es als Strafe (und als solche auch an). Im Café Mozart ein wenig die Leute studieren kam mir beinahe ebenso recht.

Dort (ich sass innen) schäumte es schon recht ordentlich. Ein Greis im Stile Scholl-Latours verstand sich darauf, eine um ihn gescharte Damenrunde in Atem zu halten mit seiner Erzählung einer Landpartie mit Hindernissen: «Mit diesen ganzen Eingemeindungen kommt das Navigationssystem natürlich überhaupt nicht zurecht.»

«In München gibt es auch das Café Mozart», stellte eine Frau neben mir fest. «Bisschen wilder», sie sprach es englisch aus, um die noch andere Wildheit der Atmosphäre im Café Mozart Münchens im Vergleich zu dem in Frankfurt, in dem sie, in dem wir alle nun sassen, herauszustellen. Danach, nach diesem vielversprechenden Eröffnungssatz kam aber sehr lange nichts mehr von ihr.

Ein älteres Paar fotografierte sich gegenseitig für Whatsapp. Er zeigte ihr, wie sie es machen soll. Dabei sah ich ihn in Grossaufnahme auf ihrem Bildschirm, wie in seinem eigenen Erklärvideo auftretend. Währenddessen draussen vor den Fenstern die Jünglinge auf Elektroscootern durch die Töngesgasse rauschten. Und Jan schickte ein Foto des abschliessenden Peanuts-Panels aus der New York Times, mit dem der nun schon seit zwei Wochen währende Streit zwischen dem Vögelchen Woodstock und Snoopy versöhnt wurde: Die beiden schütten auf dem Dach von Snoopys Häuschen sitzend ein paar Dosen Root Beer in sich hinein. To quaff heisst also in sich hineinschütten.

Das von ihr aufgenommene Portrait von ihm im Café Mozart ist indes noch immer nicht so, wie er es sich vorstellt. Sie kann es ihm nicht rechtmachen. Darüber geraten sie in Streit. Und an ihrem Nebentisch essen drei starke Männer mit kugelrunden Köpfen (Bulgaren) den gedeckten Apfelkuchen, der auch mir am besten im Mozart mundet. Dabei zeigt der eine ein Foto von einem Mann in die Runde, nachts aufgenommen. Und gleich darauf zahlen sie eilig und brechen auf. Der Mann auf dem Foto ist mittlerweile vermutlich schon tot.

In dem grossartigen Dokumentarfilm von Georg-Stefan Troller über Handke in Paris gibt es diese Szene, in der fährt Handke Bus und versucht zu erklären, wie seine Wahrnehmung funktioniert. Beispielsweise nämlich genau nicht, wenn er mit einem Stift aus dem Haus geht, um etwas wahrzunehmen (wie ich im Café Mozart). Dann, so erklärt es Handke im Bus: kommt er sich wie ein Polizist vor, der andere aufschreiben will. Und dann, für ihn ist das klare Sache: nimmt er natürlich überhaupt gar nichts mehr wahr.

Das ist bei mir kaum anders. Aber es kommt halt auf die feinen Unterschiede an. Jedenfalls kam dann draussen endlich das kleine Mädchen vorbei, das ich noch aus dem Berliner Sommer kenne, als ich noch ein Gefangener des Dogen von Moabit gewesen war. Jenes Mädchen also, das als Nachfahrin dieser Tochter von George Bernanos auftritt in meinem Leben, um mich an mein Pensum zu erinnern. Und ihr hatte ich mich zu zu fügen.