11.2.2020

Nachmittags trafen wir uns im Jade Wok. Sehr schön nach jahrelanger Fernbeziehung, sich in der gemeinsamen Stadt, der einzigen nun, aus zwei verschiedenen Richtungen heranstrebend, zum Essen verabreden zu können. Im Wok selbst war es total leer. In der Zeitung hatte ich zwar gelesen, dass die Restaurants und Geschäfte der Asiaten aus der diffusen Furcht vor einer Ansteckung mit dem Virus gemieden würden derzeit, aber gleich so? Und wie hieß dieser Laden eigentlich wirklich, fragte ich mich, während ich Friederikens Ankunft erwartete (am Fenster sitzend, die Straße im Blick). Dort hing ein Leuchtschild mir ins Bild, auf dem der Jade Wok noch mit dem Untertitel «Magic Wok» firmierte. Auf den Tellern wiederum, das wusste ich von vormaligen Besuchen, waren nebst den zarten Blütenmalereien noch die Worte «Jade Garden» aufgedruckt. Eventuell war dieses Restaurant  einst mit dem Namen Jade Garden eröffnet worden, dies eventuell sogar noch in einer anderen Stadt als Frankfurt, ja gleich gut möglich sogar in einem ganz anderen Land als in unserem, war dann aber umbenannt worden in Jade Wok, um die Spezialität des Hauses, das aromenschonende Pfannenrühren, klarer noch herauszustreichen, bloß um schließlich mit dem Zusatz «Magic Wok» diesem allzu nüchtern geratenen Narrativ seiner Erfolgsgeschichte noch eine disruptive Zeile hinzuzufügen (vgl. Sauerbraten mit Ingwer). Dieser Drang zur Konkretisierung, der auch auf eine speziell un-chinesische Art und Weise einem zur Individualisierung entspricht, entsteht wohl vor allem dort in unseren Städten, wo, nach orientalischer Manier, sich in den einzelnen Straßen lauter Unternehmer beieinander finden, die mit sehr vergleichbaren Sortimenten ähnlicher Waren einander die Kundschaft abspenstig machen wollen. Auch die Häuser der Banken konzentrieren sich in Frankfurts Zentrum zwar hochaufragend, doch auf engstmöglichem Raume … Ungefähr an dieser Stelle meines Gedankenspielchens traf jetzt Friederike bei mir ein. 

Mir kam es dann so vor, als ob die ansonsten schon vorzügliche Küche des Hauses von der Flaute nur profitierte. Mein Lieblingsgericht, die knusprig frittierten Tintenfische mit Salz und Pfeffer, kamen noch etwas knuspriger als gewohnt auf den Tisch. Der von Friederike bestellte Meeresfrüchteeintopf wurde gar von einem Vlies bedeckt aufgetragen, unterdessen es darunter britzelte, zischte und brauste: derart heiss wurde heute serviert. 

Wir spielten derweil heiteres Beruferaten, denn am Nebentisch hatten zwei Männer Platz genommen, deren Branche gar nicht so leicht zu entziffern war. Von der Kleidung her waren sie angehende Künstler. Tatsächlich war der Jade Wok wie viele Lokale im Bahnhofsviertel bei den Städelschülern beliebt. Auch das vernehmlich geführte Gespräch der beiden ließ auf ein Betätigungsfeld im Bereich von Kunst, im Ausstellungsaufbau zumindest, schließen. Da ging es um Beamer, um Nebelmaschinen und um die Klimaanlage eines Museums, beziehungsweise um ein potentiell unseliges Zusammenspiel aus besagter Nebelmaschine, der Klimaanlage und den Rauchmeldern eines Museums.

Der Tintenfisch mundete göttlich. Auf magische Weise war Ata im ansonsten leergefegten Gastraum des Jade Wok erschienen. Der legendäre DJ und Gastronom war von Kopf bis Fuß in jenem seltsamen Stile gekleidet, von dem ich Friederike schon häufig berichtet hatte, doch fand sie meine Beschreibungen stets wenig glaubhaft. Nun hatte sie das Naturbild vor sich. «Er sieht wie ein japanischer Flaschensammler aus», wisperte sie, ungläubig schauend. In einer einzigen Übersprungshandlung wandten wir uns wieder den Muscheln und Tentakeln zu.

Kaum saß der Meister — es waren nämlich alle drei DJ — ging es nicht länger um Technik, sondern um die Prozedur bei der Vergabe von Michelinsternen, außerdem um die gestrichenen Flüge. Sein entzückendes Hündle, weiß und grazil, hatte Ata leider nicht mit dabei. Die Kellnerin brachte uns den obligatorischen Nachtisch, eine halbflüssige Sülze aus süsslichen Bohnen, die genau so wie immer schmeckte (mir in dem Fall überhaupt nicht).

Nirgends Baumschäden, nur ein Kranausleger fiel ins Dach des Doms.