11.7.

Diese regnerischen Wochen sind wie eine neuartige Jahreszeit, mit einem angenehmen Klima, das die Innerlichkeit ermöglicht: ein grüner Winter. Ich sitze gern am offenen Fenster und schaue in den tropfenden oder dampfenden Garten. Ich friere nicht, trotzdem habe ich keine Lust, hinauszugehen, mich unter dem Himmel zu bewegen, wenn sich dort schon die Wolken ineinanderschieben. Ich sehe das aus einer Perspektive wie am Grund eines Sees liegend, es sind große Schiffe, die dort oben treiben.

Im Bett liegen, kühle Himbeerspeise löffeln und sich gegenseitig aus dem Buch mit den Straßenportraits von Hermann Lenz vorlesen: Stuttgart – Geheimnisse einer Stadt. Mit welcher Hingabe er da nur zum Beispiel die gar nicht wechselvolle Geschichte der Markthalle beschreibt (und das einzig spektakuläre Detail, nämlich dass den Marktleuten dort früher die Waren mit einer Spezialstraßenbahn auf Schienen bis in die Halle hinein angeliefert worden waren – letzte Spuren der dafür dorthinein verlegten Schienen findet der Kenner bis heute –, verschweigt). Nicht um Werbung zu betreiben, oder um, wie es leichtfertig hieße, »Denkmäler zu setzen«; die Denkmäler stehen ja bereits, sondern als Liebesdienst.

Da ist er mein Vorbild. Wenn ich, wie am Sonntag, am späten Vormittag aus dem Fenster schaue und auf dem Rasen hat sich eine Gruppe von elf Nebelkrähen niedergelassen, andere Vogelsorten gibt es nicht zu sehen weit und breit. Diese Großen gehen umher und beackern den Rasen. Es waren wenige Minuten, nach denen es aufgehört hatte zu regnen, anscheinend würde es bald wieder losgehen und in dieser trockenen Phase steckten die Regenwürmer ihre Hinter- oder Vorderteile, da sie keine Augen haben, war das nicht entscheidend, an die frische Luft. Die Schnecken, nackte, von denen es in diesem Juli enorm viele gibt, hatten sich aufgemacht, einen Fleck mit ihrer Erfahrung nach noch zarteren Halmen oder noch schattigerem Grün zu erreichen. Jetzt wurden sie allesamt abgeerntet und vertilgt von den Krähen, die mit ihren fingerlangen Schnäbeln die dafür ideal ausgebildeten Gartengeräte besitzen. Wasserscheu sind sie aber trotzdem. Sobald es anfängt zu regnen, verziehen sie sich in die Bäume und warten dort ab.

Es scheint, wenn ich mich an den letzten Sommer zurückerinnere und die entsprechenden Einträge nachlese, ein Juli für Krähen. Krächzen am Morgen, Krächzen zur Nacht. Kurz nach vier in der Früh flattern sie von den Schlafplätzen herunter, um sich zu laut zu streiten. Vielleicht ist es auch kein Streit, vielleicht ist es eine Art Triumphgeheul, ein Besatzergesang, denn der Garten gehört seit geraumer Zeit ihnen, weil kein Mensch dort sitzen will oder Federballspielen, so lange es andauernd regnet (oder auch bloß bewölkt und diesig ist). Am Samstagmittag hatten die Nachbarn schon alles für ein langwieriges Sommerfest vorbereitet. Es gab einen belastenden Soundcheck und ich befürchtete schon, der kostbare Abend und die Nacht könnte uns verhagelt werden durch solche Musik, wie sie bei dem Soundcheck vorgeführt worden war wie ein Folterinstrument. Dann aber, kaum standen die Stühle und waren behusst, fing in den Bäumen das schöne Rauschen an und ein schlanker Kahn mit bleigrauer Unterseite trieb seitwärts heran. Perlgraue Schleier wehten vor der Freilichtbühne im Wind. Aus dem notdürftig bereitgestellten Zelt auf der Terrasse war ein Grummeln zu hören. Grimmiges Gläserklirren. Ansonsten blieb es lauschig. Und wir schliefen sehr lang in der Vorfreude auf einen Tag, an dem man beim besten Willen nicht vor die Tür gehen können würde.