13.10.2019

«Heute wird kein Niederschlag erwartet»: Es gab dann auch keinen. Ab zehn Uhr wurde es warm und eitel Sonnenschein. Damit lag aber auch eine Forderung in der Luft hinsichtlich des fortgeschrittenen Jahreslaufs, dieser Tag liess sich nicht einfach ignorieren, zumal es auch ein Sonntag war.

Ganz eigentümliches, mir unbekanntes Geräusch: rhythmisch, dabei sanft und wie knutschend — dann erst sah ich es: die Sohlen von tausenden im Gleichschritt joggender Schuhe auf dem frühlingshaft erwärmten Asphalt, unter dem Strom laufender Leiber — City Marathon.

Erst dachte ich: warte ich halt; dann erst wurde mir das Ausmass der Schar bewusst gemacht: noch weit hinter dem Schloss, von eigentlich schon Spandau her kommend, drängten sich die Laufenden über die gesamte Breite der Otto-Suhr-Allee heran. Hier war kein Durchkommen, kein Überqueren möglich (wobei es weit und breit entlang der Piste nirgends Polizeibeamte zu geben schien. Ich hätte also leichterdings und einfach so in die Laufbahn hineinstechen können) — unterliess dies aber und suchte einen Umweg, unterirdisch auch noch, was gar nicht so leicht war, da die Unterführung der U-Bahn-Station seit dem Frühling (2019) blockiert ist wegen Bauarbeiten, die übrigens seitdem meiner Ansicht nach noch nicht einmal angefangen wurden.

Wie in jedem Entwicklungsland entwickeln die Ureinwohner aber auch in Berlin raffinierte Strategien, um ihr Alltagsleben sämtlicher Widrigkeiten — wie das Wasser, wie trotzend dem Stein — voranführen zu können.

Kaum war ich in dem Café meiner Wahl angelangt und hatte dort den letzten noch verfügbaren Sitzplatz auf der Terrasse eingenommen, plärrte mir die direkt hinter mir sitzende Frau in die Lektüre. Es ging, via Telefon, erneut um den Lauf. Zwar hätte ich gerne, doch konnte ich nicht. Also war ihr sogenannter Mann dort unter den Laufenden. Es dauerte dann noch das Feuilleton lang, also nicht so lang, bis er zu uns stiess, stossen konnte. Unter einem Marathonläufer hatte ich mir etwas vollkommen anderes vorgestellt.

Daheim schaute ich auf die toten Fenster im Haus gegenüber. Man sieht das ja kurioserweise sofort, wenn eine Wohnung leer geräumt ist. Wir haben uns nie kennengelernt, die Bewohner dort, ein Mann und eine Frau, die regelmässig auf den Balkon kamen, um eine durchzuziehen. Jetzt steht der alleine da, der Balkon. Auf dem kleinen Tisch steht ein weisser Aschenbecher. Leuchtet seltsam hell, wie ein Skelett. «Der Diagnostische Blick 4/ 4» von Luc Tuymans, den David Wagner zeigt auf dem Umschlag seines Vergesslichen Riesens. 

Kurz danach fing es zu regnen an. Aber es war noch immer schön warm. Ich rückte mir einen Stuhl an den Herd.

«It’s a longway to find peace of mind»