14. 6.

Auf dem kleinen Platz vor der Schaubäckerei im Bergischen Viertel, wo, wie ich vor ein paar Tagen schrieb, die Leute noch so leben, wie es ihnen gefällt, sitzt ein Paar Wandervögel und hält eine frühe Brotzeit ab. Allerdings ohne Brot: Jeder der beiden hält die Hälfte einer Schlangengurke in der einen Hand, eine halbe Fleischwurst in der anderen. Die untere Hälfte der Pelle aus orangefarbenem Kunststoffschlauch noch unabgeschält, als Griffschale. Und heißhungrig, so als äßen sie nicht, sondern müssten die Nahrungsmittel schleunigst in sich verschwinden lassen, beißen sie unaufhörlich und in einem ungefähr aufeinander abgestimmten Abbeißrhythmus, dabei aber jeder für sich gleichmäßig, abwechselnd in die grüne Stange, dann wieder in die orange-rosafarbene, dann wieder in die grüne, und immer so fort.

Ob es an dem ansprechenden Gegensatz der Farben dieser stangenförmigen Nahrungsmittel liegt, an der Choreographie? Es sieht jedenfalls kultiviert aus. Eine idyllische Szene. Ein Genrebild des 21. Jahrhunderts (des orangefarbenen Kunststoffschlauchs und ihrer Funktionskleidung wegen). Die Schaubäckerei bäckt übrigens ausgezeichnete Brötchen, die, mit Kümmel bestreut, dort als Römerle verkauft werden. Schwaben also. Ich sagte es ja bereits.

Nur wenige Meter von hier, auf der anderen Seite der Straße, wo es rasch sehr laut wird, leben die Leute ganz anders. Nicht unbedingt so, wie es ihnen nicht gefällt, aber es fällt schon sehr schwer, daran zu glauben, dass es. Ich saß dort gestern mit Ingo zum Mittagstisch vor einem Imbiß, der unter anderem ein Gericht auf der Speisekarte stehen hat »10 Knackwürste« und in Klammern dahinter: (kalt). Erinnerte uns beide natürlich an Äthiopien, wo es ein von allen Äthiopiern gerühmtes Restaurant gab, das in einem kreisrunden Zelt aus vorchristlichen Tagen untergebracht war und das so hieß wie die Stadt, in dem es stand: Addis Abeba. Dort gab es zum Honigwein, in dem stets noch halbierte Bienen und Fetzen von deren Waben zu schwimmen hatten, ein Gericht das nannte sich »1 Kilo Meat«. Und das war genau so.

Hinter dem Imbiß, daneben steht eine Kirche, wurden von der Bezirksverwaltung einige in ansprechendem gelb lackierte Schiffscontainer aufgestellt, die ausgerechnet zur Schnellstraße hin mit panoramafensterhaft dimensionierten Sichtlöchern versehen wurden. Da drin dämmern und wohnen nun die Heroinabhängigen, jedenfalls machten sie auf uns diesen Eindruck, wobei Ingo dann wiederum der Meinung war, das Morphinderivate eher geräuschempfindlich machen würde – von daher fragten wir uns, wie halten die es dort so nahe an der Schnellstraße aus? In Basel, wo Ingo lebt, wohnen die Heroinabhängigen angeblich in Wohnungen und zücken in der Straßenbahn ihre Umweltpässe. In den Küchen der Wohnungen von Heroinabhängigen in Basel liegen die Injektionsspritzen samt Nadeln in der Besteckschublade in einem Extrafach.

Mir fiel dann aber später noch auf, dass diese Moabiter Container halt schon wieder in Gelb gestrichen wurden, und nicht etwa in der Todesfarbe Schwarz. Was wiederum meine gestrige Theorie zum bösen Briefzentrum stützt.