14.1.

Vorbei an Gärten und Häusern, an einigen kleben noch Reste der Stadtmauer, führt die Straße an einer Tankstelle vorbei in den Wald. Wir besuchten den Fischer, der dort am Ufer eines weiteren Sees, es gibt deren acht rings im Wald, sein Geschäft betreibt. Ein wortkarger Mann mit klarem Blick. In einem Eimer drängeln sich Forellen aneinander. Dazwischen steckt ein Gerät, das den Strom aus der Steckdose ins Wasser entlädt. Danach ist Ruhe im Eimer. Der Fischer betätigt den grünen Schaltknopf der Sonde noch ein paar weitere Male und bei jedem Mal geht das Gezappel im Eimer von vorne los, ein elektrisches Ballet. Sobald sein Daumen den Knopf wieder freigibt, sinken die Fischleiber in sich zusammen.

In dem Verkaufsraum steht noch ein Weihnachtsbaum. Es ist kalt dort, es liegen kaum Tannennadeln auf dem sauber gewischten Fußboden. Die Zweige des Baums sind mit schmalen Streifen eines Netzes behängt. Dazwischen aus Holz ausgesägte Fischformen. Die fischförmigen Fläschchen aus Kunststoff, in denen einst Sojasoße war, mit dem roten Schraubverschlüsschen anstelle eines Fischmauls. Ich fragte ihn nach einem ziemlich großen Knochen am goldenen Band, der dort hing. Der Fischer erinnerte sich noch genau an den Tag, einem im Februar 1991, als er diesen Wels mit 33 Kilogramm Gewicht aus dem See gezogen hatte. Der Knochen ist einer aus dessen Wirbelsäule. Nach dem Filetieren des Fanges hatte er die Reste auf das Dach seiner Hütte geworfen, wo dann wohl die Krähen die Knochen blitzblank abgeputzt hatten. Die schönsten Teile kommen seitdem, seit den frühen Neunzigerjahren an seinen Weihnachtsbaum. Er zeigte uns die Ringe auf diesen Knochen, reliefartig, an denen sich das Alter eines Fisches ablesen lässt. Vergleichbar mit den Jahresringen auf einer Baumscheibe.

Er lieh uns das Dreibein, auf dem Rückweg fing es wieder zu schneien an.

Erik hatte die Feuerstelle im Garten vorbereitet. Das Blei schmilzt bei 280 Grad in einem Kupfertopf, es dauerte ziemlich lange, so in etwa 20 Minuten, bis drei Kilogramm einer Legierung aus Zinn und Blei zu einer metallisch glänzenden Pfütze zerronnen waren. Eingeschmolzen waren sämtlich misslungenen Güsse, obendrauf, wie als Würze, die Zinnsoldaten aus den in Sütterlin beschrifteten Schachteln. Erik schätzte, dass er in etwa zehn Versuche brauchte, um eine Form zu erhalten, die in seinen Augen Bestand hat. Und das auch aus statischem Grund, denn einige der aus dem Schapfen ins eiskalte Wasser geschütteten Ladungen erstarrten zwar zu bizarren Formen, aber sie halten dann entweder nicht oder nur schlecht zusammen, weil etwa ein zu dünner Grat den zum Standfuß geeigneten unteren Teil mit einem dafür zu schweren Kopf zusammenhält. Das Ganze läuft vom Prinzip der Herstellung her wie beim Käsefondue. Ist freilich gefahrvoller, weil insbesondere beim Einschmelzen der fehlgegangenen Güsse die Legierung aus dem Feuertopf herausknallt und spritzt.

In einigen Stunden Arbeit entstand so am Ende, da war es bereits dunkel geworden, gerade mal ein einziges Stück, das Gnade findet vor Erik, der es geschaffen hatte. Zwar spielt der Zufall eine gewisse Rolle beim Bleigießen – man kennt das ja selbst aus der Silvesternacht – und auch in dem stark vergrößerten, brutalistischen Maßstab, in dem Erik hier das Bleigießen betreibt, wird ein Teil der Formgebung von Zufälligkeiten oder schwer beherrschbaren Faktoren bestimmt; aber halt nicht nur. Wesentlich ist an dieser Arbeit vor allem die Selektion. Was darf bleiben, was geht zurück in den Topf. Wir sprachen wenig, fragten uns aber, wie lange, wie umfangreich die Versuchsreihen von Jackson Pollock wohl gewesen sein mögen, bis er dann mal eine Leinwand auf seine Weise befriedigend beschüttet hatte, dass dort ein Bild entstanden war, wie er es sich vorgestellt haben wird.

Wer, wie Erik, schon Hunderte Mal ein paar Kilo geschmolzene Metallsuppe in den Bottich geschüttet hat, verinnerlicht gewisse Bewegungsabläufe und weiß, mit welchem Schlenker er eine gewünschte Form erzeugen kann. Auch wenn dann in den Details noch Überraschendes sich gebildet haben wird. Die Skulptur des Tages war dann etwa dreißig Zentimeter hoch. Sie wiegt bestimmt an die zwei Kilogramm. Vom Gesamteindruck her wie ein Bürogebäude namens The Golden Fang. Alle übrigen Stücke werden demnächst wieder eingeschmolzen. Das eine jedoch wird nun von einem 3D-Scanner abgetastet und aus den Daten wird ein 7,3-fach vergrößertes Modell in Wachs ausgedruckt, das in die Ausstellung kommt. Weshalb nun ausgerechnet 7,3-fach bleibt des Künstlers Geheimnis. Und hat ganz vermutlich mit den Eigenheiten des Kunstmarktes zu tun. Wer sich für das Wachsmodell so stark interessiert, dass er sich zum Kauf entschließen kann, erhält damit eine in Bronze gegossene Version. Für Gartenskulpturen gibt es mittlerweile wohl einen gesunden Bedarf, seit unter den Sammlern der Trend zum Landsitz geht.

Zum Nachtessen dann die Forellen aus dem Backofen. Dazu Kirschen und Gurken aus dem Weckglas. Ein guter Jahrgang, frühe Achtzigerjahre. Nachspeise: Schokolinsen in rosa und weiß.