14.5.2019

Nachdem es jetzt zehn Tage lang nur geregnet hatte, war gestern zum ersten Mal wieder klarer Himmel beschieden. Die Farben des Züricher Stadtwappens: genau dieser Blauton, dazu das Weiss von den Wolken. Am Abend zeigte sich über meinem Fenster mit einem Mal ein Vlies aus den Wolken; das wurde minütlich dünner und zog sich gespinsthaft auseinander, plötzlich, da kam ich gerade aus der Küche zurück, hatte es sich vor dem lupenreinen Blau in eine einzige, zeppelinförmige Wolke zusammengezogen. Und die wurde vom Uetliberg her von den Strahlen der untergehenden Sonne her angeleuchtet.

Ich spüre die Ungeduld der Leute. Sie deuten in den Himmel und fragen laut, was das soll. Zu dieser Jahreszeit! Vor zwei Tagen gab es am frühen Morgen vor dem Rathaus eine Versammlung von Demonstranten, die forderten über Megaphone die Ausrufung des Klimanotstandes.

Gestern trat plötzlich Yves zu mir in den Raum, ich mag ihn so gerne, er lächelt so schön, und sagte «Ciao, ich reise jetzt in Dein Land.» Er sollte dort den Andruck des neuen Prachtbandes von François Halard begutachten. Der wird freilich in Deutschland gedruckt, denn die Dienstleistungen der Schweizer Druckereien können sich nicht einmal mehr die Schweizer leisten.

François selbst sass mir dann heute den ganzen Tag gegenüber, wo normalerweise nur die Messer und die Lineale liegen. Und schrieb mit einer Engelsgeduld ganze Din-A-4-Seiten ab von Hand. François hat eine unglaublich schöne Handschrift. Werentwegen er seit neuestem vom Studio als Handschriftenspezialist angestellt wird. Das war jahrelang die Aufgabe von Alexis Saile, aber Yves hat mir verraten, dass der mittlerweile eine Ladehemmung hat und nur noch auf jahrelange Vorbestellung liefern kann.

Ich fragte François, ob die Geschichte denn stimmt, die, mit seinem allerersten Job. Und er sagte «Mais oui, das stimmt. Ich war dreizehn Jahre alt und wollte unbedingt Fotograf werden. Ich bekam diesen Job als Assistent eines Fotografen, der war auf Nacktaufnahmen spezialisiert. Und er sagte zu mir: öle sie ein. Und als ich das gut gemacht hatte, durfte ich Kirschen kaufen gehen auf dem Markt. Meine Aufgabe war es, die Kirschen einzeln auszusuchen, damit ihr Farbton zu den Farbtönen der Lippenstifte passt.»