15.2.2019

Um acht nahm jemand den Innenhof in Beschlag, ich konnte ihn aus dem Fenster gelehnt sehen: ein Greis, aber anders geartet als der von gegenüber. Ultra-klassisch gekleidet in einem staubfarbenen Kittel und einem Cordhütchen auf dem silbrigen Haar. Der andere staubsaugert ja bloß, dieser nun hieb mit erstaunlicher Virilität auf die am Erdboden befestigten Holzlatten ein, die einst wahrscheinlich jemandem Terrasse gewesen waren, die er, der Greis mit dem Hammer, nun gekommen war, um sie zu beseitigen. 

War, vom spektakulären Anblick wie es heißt abgesehen: andauernd laut. Mit Tendenz zu. Es war ja der schönste Tag bislang mit Sonnenschein. Als ich das Haus am frühen Abend durch das Kellerlabyrint verliess, schrillte er dort auf Metall kniend mit einer Flex. Ich rief ihn fragend an, ob er da etwas baue—»Nein!« Ich wartete noch ab, aber von ihm war nichts weiter zu erwarten, ausser dem brenzlig stinkenden Lärm seines Geflexes.

Am Spreeufer entlang dafür frühlingshafte Stimmung: das Wasser glatt, die Weidenkätzchen platzen aus den Hüllen. Das Abendlicht machte die Backsteinfassade am Heizkraftwerk noch schöner, intensivierte das unnachahmliche Rot des alten Materials. Mir war, gleich nach dem Umzug, hier gegenüber des schönen Kraftwerks ein abstoßend häßlicher Neubau ins Auge gestochen, den ich mindestens für eine Behörde hielt, circa 1994, vom Schlage altes Innenministerium, aber es handelt sich, ich hätte es mir gleich denken müssen anhand seiner blutergußfarbenen Klinkerfassade, satiniert selbstverständlich, dass es sich um ein Werk von Professor Hans Kollhoff handelt. Es hat, wie alle Bauwerke des Professors einen angenehm demutspfeifenhaft dröhnenden Namen, in dem Falle »Haus am Luisenplatz«. Nur von wegen Haus: Der Klotz ist circa dreihundertfünfzig Meter breit, sechs Stockwerke hoch und hat auf dem Dach eine Art Leitwerk, wie es sich Elon Musk nicht besser ausdenken könnte. Will aber, trotz dieses Space-Age-Elements vor allem anschließen, wie mir gestern klar wurde: an die Fassade des kaum 500 Meter entfernt aufragenden Heizkraftwerks. Dass dort natürlich schon viel länger Existenzrechte beansprucht, als das dafür doppelt so große und vierzigmal weniger formschöne Haus des Professors Kollhoff. 

Es geht ihm ja um die »Kontinuität der europäischen Fassade«. So gesehen soll man als Betrachter eine harmonische Verbindung erkennen und als Wohltat zu sich nehmen können vom Klingenbergschen Kraftwerkstil mit schönen Backsteinen, die im Abendrot noch schöner werden und seinem verklinkerten Mietshaus mit Lufthutze auf dem Dach. Die erkenne ich aber nicht. Ich erkenne diese Verbindung und noch nicht einmal zur Schließung irgendwelcher Fassaden nirgends, wo ich einen Bau des Professors sehe. Im Gegenteil: ich sehe dann vor allem auf sich selbst hinweisende Solitäre; meistenfalls, weil sie so klotzig sind, dass ich mich frage, was das soll. Bis auf das Türmchen mit den vergoldeten Zinnen in Frankfurt, das dort total isoliert steht. Und ein Frühwerk für Sozialwohnungen, das er im Wedding gebaut hat. Das hat mir Oda Pälmke, die für ihn gearbeitet hat, einmal gezeigt. 

Es wird eindeutig Frühling. Meine Laune steigt. 

Wie rechtzeitig war ich zum Sonnenuntergang an der Straße des 17. Juni angelangt. Ab und an drang der Gesang von Amselhähnen durch den Verkehr bis zu mir. Weit drüben drehte sich der Mercedes Stern, leuchtend, und es läuteten Glocken—woher denn? Von dort drüben offenbar. Bis es mir aufging, dass die von der sogenannten Gedächtniskirche sein müßten. Aus dem kaputten Turm.