15.7.

Vor der Abfahrt, dieser langen Reise meines Tages an das Ende der Nacht, aß ich bei Gosch Sylt im Berliner Hauptbahnhof ein Fischbrötchen, während auf dem großen Bildschirm hinter uns die Pressekonferenz des französischen Präsidenten und seinem Gast, Donald Trump, gezeigt wurde. Ohne Ton.

Die Verspätung war mittlerweile mit einer halben Stunde angegeben, also, so dachte ich, konnte ich mir das in Ruhe anschauen. Macron, so nennt man ihn, wirkte auf Anhieb ziemlich verzwergt im Vergleich zu dem geföhnten Giganten. Aus dessen Revers quoll ja auch eine Krawatte aus blau schimmerndem Gewebe, wie Seide, das wirkte auf mich wie ein Wasserfall, wie der endlose Brunnen in einer Inszenierung der Nibelungen, von der mir Beate einst erzählt hatte, also: einfach märchenhaft. Dazu aber noch seine Gesichtsveranstaltungen. Donald Trump kann ja anscheinend nicht einfach sprechen wie ein Mensch. Das macht nichts, wirkte auf mich aber verstörend, dass dieser Mensch, immerhin Präsident, wenn er, was er andauernd tat, seine Mundwinkel bis zum Äußersten seines Gesichtskreises hin verziehen ließ. Denn, ja, so wirkte das dort auf mich: es gab in ihm noch andere, die ihn bewegten. Wollte er aus dieser Position des Bis-zum-äußersten-Lächeln-gespannt-seins dann wieder zurück in eine neutrale Mundposition, so kam es mir vor, während ich dort vor dem Bildschirm bei Gosch Sylt schauend mein Fischbrötchen aß, dann musste er den Knechten seiner Mimik den Befehl erteilt haben, ihm das Lippenmaterial über die bekannte Position »Trötmündchen« hinweg wieder auf »Normal« zurückzuziehen. Einiges aber, so schien es mir, war noch nicht genügend einstudiert: So gab es bei Donald Trump, wenn er Zuhören signalisieren wollte, nur eine wenig überzeugende Routine, bei der seine Augen urplötzlich haselnusshaft und wie vom Klappern der Kastagnetten begleitet auf und zu klickerten.

Insgesamt wirkte das Mein-des-amerikanischen-Präsidenten-ansichtig-werden aufgrund dessen Mienenspiels so, als ob unter seinem Gesichtsfleisch kardanische Stangen ihren Dienst versehen müssten, um ihrem Herrn das für die Verständigung mit Außenstehenden nötige Mienenspiel zu ermöglichen. Dann wiederum schien es, aber es war ja unmöglich, dass sogenannte Hacker sich nun eines Menschen bemächtigt hatten. Gerade so, als ob er nicht mehr Herr seiner selbst war.

Emmanuel Jean-Michel Frédéric Macron hingegen: tadellos. Nein: tadellöser! Was eventuell auch schlicht daran lag, dass ich ein Europäer war wie der Franzose, wohingegen Trump, als Ami, ein für unsere althergebrachte Kultur halt noch immer einen Artefakt repräsentierte. Ein Produkt. Na gut, im Zweifel ist halt Space doch The Place.

Um mein durch Television niedergedrücktes Empfindungsfeld wieder aufzurichten, lernte ich dann auf der Zugfahrt die Farbnamen meiner Buntstifte auswendig. Die stehen bei den Polychromas von Faber in goldener Prägeschrift auf dem jeweils in der Minenfarbe passend lackierten Zedernholz und sind, auf Deutsch zumindest, auch noch überwiegend interessant:

Fleischfarbe Hell / Light Flesh

Krapplack Rosa / Pink Madder Lake

Alizarinkarmesin / Alizarin Crimson

Warmgrau IV / Warm Grey IV

Van-Dyck-Braun / Van-Dyck-Brown

Und immer so fort. 120 Stifte später sah ich die leuchtenden Türme von Frankfurt, deren Namen ich längst im Herzen bei mir hatte.