16.9.

Seltsam, wie ich die letzten Wochen über so gut wie gar nichts auf die Wettervorhersagen gegeben habe, aber als es dann hieß: »So jetzt am Freitag übernimmt die große Kaltfront«, war das plötzlich Wahrheit für mich. Das ist dieser Protestantismus, der, tief in mir verwurzelt, zu einer Demut führt à la: »Ist ja auch vernünftig, jetzt, konnte ja nicht ewig und drei Tage so weiter gehen«. Und tatsächlich zeigte sich heute früh beim Sonnenaufgang alles umher, besonders aber die Oberfläche des Sees, in rosa eingefärbt. Aber es wehte auch eine kühle Feuchtigkeit gegen meine Zehenspitzen durch das offene Fenster herein. Ein paar Tage noch, dann werde ich sie schließen müssen. Oder, wie ich es beim Studium der gesammelten Schriften von Marcel Makrele gelernt habe: »Endlich wieder im Pulli ins Bett – Herbst.«

Gestern Nachmittag habe ich mich von Timothy Taylor verabschiedet, es war seine letzte Schicht in dem kleinen Café und jetzt fliegt er zurück in sein Heimatland Neuseeland, um dort bis März zu überwintern. Seit sieben Jahren schon kommt er jeden März nach Deutschland, um hier Geld zu verdienen, das er dann den Winter über in Neuseeland und Australien ausgibt. Von seiner Umgebung dort weiß er erstaunlich wenig. Beispielsweise war er selbst noch nie im Süden Neuseelands, weiß aber zu berichten, dass es dort angeblich sehr schön sein soll. Insgesamt aber halt auch sehr langweilig, wenn man sich nicht brennend fürs Wandern oder für die Beobachtung von Vögeln interessiert. Er hat mir erzählt, dass es Quellen gibt, in der die ersten Siedler vor 200 Jahren festhielten, dass die Wälder und Berge und Wiesen Neuseelands derart dicht von Vögeln bewohnt waren, dass man den Krach der Millionen Vogelstimmen kaum aushalten konnte. Bis vor kurzem, also Timothy meinte, noch vor ein paar Jahren – ich nehme an: vor 20 Jahren, eher 30 – gab es auch noch eine Art Relikt aus der Saurierzeit, einen auf zwei Beinen gehenden Vogel, noch um einiges größer als ein Strauß, der soll richtig gefährlich gewesen sein für Leib und Leben der Menschen. Ich war noch nie dort. Und habe das auch nicht vor. Auch Australien nicht. Mir ist das einfach zu weit weg. Ich werde in diesem Winter auch nirgendwo anders hinfliegen. Ich will ein ganzes Jahr hier an diesem Ort erleben. Auch wenn mir die Leute hier in zunehmend schrillen Farben auszumalenderweise einzureden versuchen, wie unfassbar stalingradhaft unbarmherzig sich hier die Wintermonate am Ufer gestalten werden. Der See, so die Leute, wirkt sich dann aus wie ein gigantischer Kühlakku, der geradezu grimmig seine Kälte abstrahlt, die, so heißt es dann, durch sämtliche Ritzen und Löcher dringt; und gegen diese vom See erzeugte Sonderkälte hilft angeblich weder Fußbodenheizung, noch nicht einmal die guten Fenster wie ich sie hier habe.

Na ja. Ich werde es ja erleben. Wie lange werde ich noch mit dem Boot rausfahren können? Sechs Wochen vielleicht, sieben? Gestern Abend, auf dem Weg zum Nudelessen, hing der Vollmond riesig und hell zwischen den Bäumen. So klar war die Luft immerhin schon. Oder noch.