17.10.

Da ich am Abend eingeladen war, hatte ich den ganzen Nachmittag über gebacken, aber danach wurde mir bald so schlecht, dass ich die Einladung absagen musste, um den Rest des Abends im Liegen verbringen zu können. Der Grund war, wie in jedem Jahr zu Beginn der Saison, dass ich die Tage bis zum Fest der Feste mit der Herstellung meiner beliebten Frankenkekse eingeläutet hatte. Dabei handelt es sich, wie nicht jedermann weiß, mitnichten um eine etwa fränkische Spezialität – das sind die in den Tagen bis zum Fest der Feste ohnehin allseits beliebten Lebkuchen ja selbst. Bei meinen Keksen bezieht sich der Zusatzbegriff »Franken« auf das Leichenpatchwork Frankenstein, die legendäre Frühform einer wandelnden Drohne, die Mary Shelley sich ausgedacht hat; auf die ebenfalls namensgebenden Kekse bezogen, bezeichnet der Gattungsbegriff meiner Kreationen analog zum vor einigen Jahren noch durch Martino Gamper popularisierten Wort Frankenfurniture ein Machwerk aus gekauften, also backtechnisch betrachtet: kalten oder zu einem anderen Zweck vorgefertigten Keksen und Süßigkeiten aller Art.

In dieser Tradition des Mad Konditor stehe ich nicht allein da auf dem Feld der vorweihnachtlichen Köstlichkeitenzubereitung. Im Grunde handelt es sich um einen dem Free Jazz in der Musik vergleichbaren, interpretatorischen Zugang zum Adventsklassiker Lebkuchenhäuslein — wenn auch ohne Lebkuchen (und ohne Haus).

Für eine Menge von einem knappen Kilogramm Frankenkekse, das entspricht meiner Erfahrung nach dem nachmittäglichen Bedarf einer erwachsenen Person, rühre ich zunächst als wesentlichen Bestandteil eine gewisse Menge essbaren Keksklebstoff an. Hierzu je nach Größe der Zitrusfrüchte ein bis zwei Zitronen auspressen und in den Saft so lange Puderzucker einrühren, bis eine steife, glänzende, schwer vom Löffel reißende Masse entstanden ist. Der Säure des Saftes im Kleber wird benötigt, um die vorwiegend stumpfe und durch die Zugabe der sogenannten weihnachtlichen Gewürze vor allem in die Breite und Tiefe schmeckende Würze der Süßigkeiten nach hinten hinaus anzuspitzen und über den Gaumen zu verlängern. Die Frankenkekse schmecken somit beinahe schon erfrischend; jedenfalls wirkt sich ihr Genuss im Übermaß, der unvermeidlich nicht nur scheint, nicht derart ermüdend auf die Geschmacksnerven und deren Rezeptoren aus. Das Gehirn quittiert den Empfang säuerlicher Informationen mit der Dankesbotschaft: »Da geht noch was«.

Zur Fertigstellung der Frankenkekse werden die Trägerplatinen, ich verwende den Inhalt einer Packung Gewürzspekulatius der Handelsmarke von Penny, Douceur, à 600 Gramm, wie eine Partie Patience oder Tarot auf der Arbeitsfläche ausgelegt. Reliefseite nach unten, lautet meine Devise (Merkregel: aufs Gesicht!) ebenfalls auspacken und in sortenspezifische Schüsseln und Schalen füllen: die diversen Süßigkeiten, mit denen die Platinen bestückt werden sollen. Hierzu gibt es wie im Free Jazz üblich: keine Regeln. Erlaubt ist, was schmeckt und der intensive Basisgeschmack der knusprigen Spekulatiae läßt jegliche Kombinationen zu: Gummibärchen, Lebkuchen, vor allem halt Dominosteine, aber auch Miniflorentiner, Snacksize-Schockoriegel, Smarties, aber sogar Dominosteine oder Schokoladenkränze (von mir auch als Crunchy Ecstasy bezeichnet) sind geeignet, um die Köstlichkeit der Frankenkekse ins schier Unermessliche zu steigern.

Von daher geht es dann auch ziemlich schnell: Die Module werden an ihren gedachten Unterseiten mit dem Kleber bestrichen und mit sachtem Druck auf den Platinen angebracht. Hier darf man seiner sogenannten Kreativität freien Lauf lassen. Wer davon keine in sich spürt, dem sei die Lektüre von Wolfgang Ullrichs Der kreative Mensch anempfohlen, d e m Primer zum Thema; allerdings nicht unbedingt für die Last-Minute-Lektüre geeignet. Dafür aber für die »Mußestunden« im Liegen, danach. Für Novizen noch mein Tip: Durch die Begriffe Platine und Modul habe ich die von mir bevorzugte Richtung hinsichtlich der Anordnung bereits vorgegeben. Bunt sollte es sein, von den Beklebungspattern her robotisch, beispielsweise macht sich sowohl vom Mundgefühl her als auch visuell ein mit Fruchtgummi, Schokoladenkranz u n d einem Dominostein beklebter Spekulatius ganz außerordentlich gut auf jedem noch so bescheidenen Teller, dessen Herumstehen in der Wohnung das Einläuten des Festes der Feste signalisieren soll.

Das Geile an den Frankenkeksen wiederum ist: keine Abkühlzeit. Sie sind im Handumdrehen ready to crunch. Der Zuckergußkleber trocknet in einer knappen Stunde an, dann kann die Frankensteinernte eingestrichen und serviert werden. Im Idealfall sind die Gäste aber erkrankt oder sagen aus anderen Gründen ab. Wem beides nicht beschieden wurde, dem bleibt als letzte Option noch immer, eine weitere Edition aufzulegen.