17.11.

In etwa an der Stelle – wer könnte sie bestimmen an einem Fluss; möglicherweise weil da eine Coladose vorbeitreibt? – legte ich das Buch in einen Rucksack und machte mich auf. Das kann bei mir nur Peter Handke: dass ich, vom Gelesenen und erst recht von dem noch zu Lesenden (wie eine beinahe noch volle Tüte Spekulatius) aufgefordert hinaus will, vor die Tür muss – Wetter egal, um mir die Welt persönlich anzuschauen. Dass Denken und Gehen zusammenhängen weiß ich, ich habe es selbst erlebt, aber das Denken eines anderen hängt nicht oft genug mit meiner Lust zusammen, dem nachzugehen. Und aber der Wald war genauso, wie in der Obstdiebin beschrieben. Dabei war es bis zu jener Stelle noch so gut wie gar nicht um den Wald gegangen. Die Erzählung hatte sich bis dahin nur einmal, anttäuschend, spielerisch in einen Wald bewegt, um dort Menschen zu beschreiben, die im Schatten der Bäume ihr mitgebrachtes Mittagsessen verzehrten. Die Buchzeit war Mitte August, bei mir war es Mitte November, und trotzdem.

Als ich, immerhin gingen die Uhren simultan, an der Canterburykirche am gepflasterten Dorfplatz ankam, war meine Hose, selbst im Wald noch weiße Hosen, voller unregelmäßig gesetzter Schmutzflecke. Die waren von den Hundepfoten mir aufgestempelt worden. Der Wald ist auch ein Hundeausführrevier und ich wurde vielfach begrüßt. Unter anderem von einem beigen Windhundmischling, den seine Halterin, das teilte sie mir bei ihren Entschuldigungsversuchen für das an mir Hochspringen des Hundes mit, aus Dubai gerettet hatte, wo er herrenlos und einsam vor sich hinvegetiert hatte, wie Hunde das nun einmal machen, wenn man sie lässt. Sie vegetieren.

Ein Greis stand schwer atmend, kurz vor dem Keuchenmüssen, an einem Gartenzaun. Ich näherte mich. Da knackte es in der Sprechanlage, die in einen der hölzernen Pfosten am Zauntor eingelassen war. Der Greis neigte sich dem Sprechgitter zu und rief: »Essen!«. Da erst fiel mein Blick auf den am Straßenrand abgestellten Kleinlieferwagen, ein Kombi, dem der Greis wohl entstiegen war. Und tatsächlich war dort, auf der fensterlosen Ladekabine des Mobils, ein Bild aufgedruckt eines Menüs mit Rotkohl und Püree, dazu die Adressdaten eines Essenslieferdienstes für Senioren. Dass Greise einst den zum Kochen zu vergreisten ein Mittagessen auf Rädern liefern werden: so stelle ich mir meine Zukunft vor.

Bei Handke, ich las die kommenden Zeilen im Garten vor dem Bauernhaus der Mutter Fourage, weil es, vom Kirchturm spielten die Glocken Geh Aus Mein Herz und Suche Freud, ein dämpfig lauer Mittag war, geht es um die Natur des Weibes, die, laut Schopenhauer, Houellebecq und Peter Handke, jeweils subjektiv und für jeder sich, die eines entschleiernden Verbergens sein müsste. Oder sollte. Wenn sie denn dürfte!

»Das unverschleierte Gesicht einer schönen und ebenso einer weniger schönen Frau war, so schien es mir, so fühlte ich, so wusste ich, wie nichts auf Erden dazu geschaffen, mich und mein Herz zu erheben. Ja, hoch das Herz, hoch die Herzen! Und man musste mir dazu nicht mit dem Paradies kommen, frei nach dem Spruch, wonach nichts sonst so sehr das Paradies verspräche wie der Duft von Moschus, die Schönheit der Frauen und die Frische der Augen im Gebet. Keinmal im Leben hat das schleierlose Gesicht einer Frau in mir so etwas wie ein Begehren geweckt, geschweige denn die sogenannte Geilheit. Geweckt hat mich solch ein offen und still sich zeigendes Gesicht von Zeit zu Zeit, ja, aber das war jedesmal eine heilige Zeit, ja, und geweckt hat es, ihr Antlitz, mich zu mir, ja. Weg mit all euch Verschleierten und Vermummten, um Gottes Willen.«

Hoffentlich liest das der Identitäre Sellner nicht, der kriegt das wieder in seinen falschen Hals. Er hat ja nur den einen.

Vor dem Zubettgehen noch die Matratze auf ihre Winterseite umgewendet. Dort klebt ein Etikett »Memory-Schaum, wohlig, anpassungsfähig, warm«.