17.12.

Abschied von Daniel, dem Künstler, dessen Zeit nun um ist, er fliegt zurück nach Los Angeles. Ich kann mir kaum vorstellen, ihn dort einmal zu besuchen. Das eine Mal, das ich dort war, fand ich es zwar ganz schön, aber auch mit viel zu viel Autofahren verbunden. Die Stadt ist, textlich gesprochen: zu lang. Auch Daniel überlegt angeblich, aber aus anderen Gründen, nach Berlin umzuziehen. Und wie um ihn zu locken, gab es hier gestern ab neun Uhr bereits das idyllische Winterlicht wie auf den Fotografien von Philip Lorca Dicorcia*: auf der einen Straßenseite liegt alles im Schatten und dort ist es kalt, gegenüber sieht man alles angestrahlt vom Sonnenschein.

Auf dem Weg in die Stadt saß ich mit dem Rücken zu zwei Schülerinnen, deren Gespräch ich belauschte. Sie diskutierten den Fall dreier Mitschüler mit roten Haaren. Woher das wohl kam, ob da eine Absicht dahinter zu vermuten ist, dass es ausgerechnet in ihrer Klasse gleich drei davon gab, wo doch, so die eine nach Recherche bei Wikipedia: nur drei Prozent der Weltbevölkerung mit roten Haaren geboren würden. Gerade das, so die andere, machten die Rothaarigen aber in ihren Augen attraktiv: weil sie selten sind. Zum Abschied fragte die eine, was die andere denn werden wollte später einmal: »Schauspielerin oder Autorin«. Das kam prompt. Sie hatte es sich anscheinend gut überlegt.

Und als ob der Tag nicht noch schöner werden könnte, wurde er es natürlich dann doch noch. Indem zuerst ein Mann mit Querflöte Hallelujah von Leonard Cohen spielte. Ganz ungewöhnlich, denn auf dieser stadteinwärts führenden Linie trat das ganze Jahr über immer und, wie meine Mutter zu sagen pflegt: »so sicher wie das Amen in der Kirche«, das immerselbe Trio auf, aus einem Trompeter, einem Trommler und dem Kleinen, der die Soundbox an und dann halt leider nicht mehr abstellt, die auch immer nur das immerselbe Lied zu bieten hatten: Hit the road, Jack. Was ich beim ersten Mal noch amüsant gefunden hatte, so von wegen themenbezogen (road/Schiene), dann aber ab dem zweiten, dritten und immer so weiteren Mal gar nicht mehr.

Dann Friseur, Licht immer nur noch schöner, ich wusste, das gibt einen Hammersonnenuntergang. Besah mich im Spiegel und sah dort einen anderen Aspekt meiner Person mit jeweils einem Wattestäbchen aus jedem Loch in Ohren und Nase ragen, während sich der ägyptische Greis mit einer Weihnachtsmannmütze auf mit meinem Nacken beschäftigte – schnipfelnderweise. Als ich erwachte, hatte er mir die Frisur unserer Bundeskanzlerin verpasst. Aber da mir alle drei Friseure im Salon Marwan, auch Marwan selbst, also vor allem er, glaubhaft versichern konnten, dass die mir stünde, war ich zufrieden. Mal was anderes. Und vor dem Radioempfänger ahnt niemand, dass du die Frisur der Bundeskanzlerin trägst. Was anderes, auch hinsichtlich des Programms im Hause Marwan, wo gestern freilich Hochbetrieb herrschte, und am Ende sehen alle Männer, egal wie alt, wie groß, wie dünn dann idealerweise gleich aus von ihren Frisuren her. Das geht so weit mit dem identischen Look, der im Salon Marwan mit einer beinahe schon industriell zu nennenden Präzision hergestellt wird, das einer, der sich dort gestern vor dem Spiegel posierend handvollweise Haargel in die briketthafte Tolle schmierte, von seinem Freund zur Ordnung gerufen wurde, mit dem freundschaftlich gemeinten Ordnungsruf aller Ordnungsrufe: »Hör auf damit, Bruder, Du siehst wie ein Neunzigerjahrekanack aus!«. Der einzige, der da nicht mitlachen konnte, war der kleine Vogel, der in seinem Käfig still auf seinem Platz hoch oben auf dem Kühlschrank saß. Seit neuestem ist nämlich sein Käfig mit Frischhaltefolie umwickelt. Gefragt, weshalb, erklärt Chef Marwan gerne, dass der Vogel zu viel und heftig mit den Hirsekörnern um sich schmisse, weswegen er nun diese Hirsekornrückhaltefolie um den Käfig zu ziehen angeordnet hat.

Dann so das Übliche, auch Berlin ist ja zu lang, aber das Studio, in dem die Radiosendung stattfand, war im sechsten Stock mit Blick über das Kanzleramt bis weit in den Westen (sogar der abgebrochene Turm der Gedächtniskirche und der weiß beleuchtete Mercedesstern aus Christiane F ragten ins Bild). Und während ich dort in ein Mikrofon der Marke Neumann sprach, ging dann auch die Sonne unter. Und übertraf noch meine Vorstellungen davon, wie es werden könnte. Wie beinahe immer. Wie an jedem Morgen, wie an jedem Abend, egal wo. Und vielleicht lag es an Frauke Petry, die währenddessen im Erdgeschoss vor Journalisten und Fotografen auftrat, vielleicht war aber auch noch etwas anderes los. Auf jeden Fall stand hoch am Himmel ein Hubschrauber und regte sich nicht auf der Höhe seiner Wacht. Dann färbte sich alles olivgrün ein und in der Weite zeigten sich letzte bunte Streifen. Hatte Daniel alles bestimmt nicht haargenau so mitbekommen. Aber es spielte zumindest in seine Überlegungen hinein, höchstwahrscheinlich.

Für Daniel Joseph Martinez

*»Moments cut loose from a narrative«