17.4.

Ich hatte von so etwas schon ein paar wenige Male gelesen, persönlich erlebt jedoch lediglich zwei Mal in meinem Leben: zum letzten Mal bei dem legendären Auftritt von Modeselektor vor dem Adidas-Laden in der Torstraße (ja, ich weiß, das klingt albern, war aber geil!). Und gestern früh am Abend dann wieder, als wir, es war schon kurz nach 20 Uhr, ich deswegen Catrin unerbittlich antreibend, die am Steuer des Jeeps saß, trotz ihres schmerzhaften Schleudertraumas, das es ihr unmöglich machte, zu nicken, oder den Kopf zu schütteln, ohne dabei gequält aufzuschreien, endlich den Karstadt am Hermannplatz erreicht hatten. Um dann, in die Karl-Marx-Straße einbiegend, feststellen zu müssen, dass es bereits zu spät war. Vor allem wir. Denn es hatte sich eine sogenannte Traube aus Menschen gebildet. Selbst auf dem Mittelstreifen der vierspurigen Straße drängten sich die Zuschauer. Sie schauten denen zu, die eine Traube bildeten und aus deren Formation heraus versuchten, sich ins Innere des Gebäudes pressen zu lassen. Es ging um die Eröffnung des Schnellrestaurants Dandy Diner.

Das volle Ausmaß dieses Gastro-Raves konnten wir natürlich erst ermessen, als wir die leidige Parksituation bewältigt hatten. Der benachbarte Spätkauf machte bereits Bombengeschäfte. Sämtliche Familienmitglieder des Inhabers packten mit an, um Flaschenbier an die überzähligen Gäste der Eröffnungsparty zu verkaufen. In den Genuss der von Carl Jakob Haupt und Kurt Karl David Roth ausgelobten Gratisgetränke konnten ja nur die wenigsten gelangen, denn auch im Inneren des ganz in Fleischrosa gekachelten Schnellrestaurants war es gesteckt voll. Aus dem mit Menschen gefüllten Raum drang bei ausgehängten Terrassentüren derart laut die Musik, dass man sich selbst auf dem Mittelstreifen der Karl-Marx-Straße gegenseitig sehr laut anschreien musste, um sich überhaupt verständlich machen zu können. Im Hintergrund, hinter hunderten von Rückenansichten und Hinterköpfen blinkten fleischfarben die beiden Flachbildschirme. Darauf war das hübsche Logo des zwinkernden Schweinchengesichtes zu sehen.

Um die ebenfalls versprochenen Babyschweinchen zumindest einmal kurz berühren zu dürfen, wagten wir nach drei Minuten einen Vorstoß ins Schnellrestaurant hinein. Wir kamen in etwa bis zur Mitte des großen Raumes, weit hinten war auf einem Podest Carl Jakob Haupt zu sehen, wie er, in der wirklich sehr lustigen Uniform seiner veganen Schnellrestaurantkette (das Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte im Vorwege bereits exklusiv über diese Pläne berichtet) Freibier in Flaschen an die Menge verteilte. Er sah, eine Viertelstunde nach der offiziellen Eröffnung, bereits ziemlich erschöpft aus. An zugerufene Grüße war angesichts des massiven Musikpegels nicht zu denken. Also schickte ich meine Glückwünsche über Twitter. Immerhin konnte ich ihn dabei beobachten, wie er sie favte und retweetete. Dann aber gleich weiter im Akkord. Von Kurt Karl David Roth war indes überhaupt nichts zu sehen. Die Schweinchen waren wahrscheinlich bereits tot.

Einen jener Glücklichen, die eines der ebenfalls gratis verteilten Avocadobrote ergattert hatten, konnte ich mühelos davon überzeugen, mir das mit dem Schweinchen-Logo bedruckte Umwickelpapier zu schenken. Mit dieser Devotionalie, die ein megawertvolles Briefpapier abgeben würde, traten wir den Weg zu unserem Parkplatz an.

Das erste Mal, dass ich so etwas erleben durfte, hatte sich in jenem Sommer ereignet, als auf der Lautenschlager Straße in Stuttgart der Palast der Republik eröffnet wurde. Das war ja eigentlich ein größerer Zeitungskiosk gewesen, in dem dann plötzlich Getränke ausgeschänkt wurden. Zum Beispiel erstmalig Caipirinha – damals, in den Achtzigerjahren ein exotischer novelty gag. Am Morgen nach meinem ersten Besuch dort (es gab nicht einmal Stühle, man saß auf dem Trottoir), fand ich einen von meiner Mutter in vorwurfsvoller, auf jeden Fall mahnender Absicht auf meinem Frühstücksteller plazierten Artikel aus der Stuttgarter Zeitung, die in bewährter Manier von der Eröffnung des neuartigen Nachtlokals berichtet hatte. Schon in der Überschrift war von »Bürgerkriegsähnlichen Zuständen« die Rede gewesen.