18.1.

Derzeit komme ich täglich an einem Antiquitätengeschäft vorbei, dort steht im Fenster eine afrikanische Skulptur. Sie ist in etwa einen Meter hoch und ähnelt von der äußeren Form her einem Kaktus ohne Verzweigungen (und ohne Topf). Im oberen Drittel der Form befinden sich auf der dem Fenster zugewandten Seite zwei Löcher, die, weil sie parallel und nebeneinander auf einer Waagerechten eingebracht wurden, mich an Augen denken lassen, und daraufhin erscheint mir das Ganze natürlich als Bild eines beseelten Wesens. Das Material könnte Ton sein oder eine andere Erde, jedenfalls ist es von rötlichem Hellbraun. Weder glasiert noch bemalt.

Ich habe das Geschäft noch nie betreten, bleibe aber jeden Tag zweimal vor dem Schaufenster stehen. Wenn es dunkel ist, wird die Skulptur von der Nachtbeleuchtung gelblich angeleuchtet (nicht -gestrahlt). Man würde das Lämpchen mitkaufen wollen, falls. Ich kam da gestern aus dem Lokal Zwiebelfisch, wo ich die Neue Zürcher Zeitung gelesen hatte. In den kommenden Tagen habe ich viel mit zwei Schweizern zu tun, da kommt es leicht zu Missverständnissen, also bade ich allabendlich ein bisschen in deren Sprache, um mich vom Gefühl her auf ihre Ausdrucksweisen einzustellen. Die beiden sind, sprachlich gesehen, wie Goldfische in ihrem Plastikbeutel von ihrer Schweizer Sprache umgeben und mit meinem Deutsch dringe ich nicht vollständig zu ihnen durch. Gestern fragte Beda, dabei eine der eigens für ihn aufgestellten Styroporwände abschreitend, an der schon zig ausgeschnittene Schriftproben und Zeitschriftenseiten beispielhaft hingen, nach einer Nadel, dabei erzählte ich ihm, dass ich neulich vor dem Haus eines Mannes gestanden hatte, einem Uhrmacher, der als Erfinder der Reißzwecke gilt.
»Was ist Reißzwecke?«, fragte der Schweizer. Und lächelte nach meiner Erläuterung in sich hinein. Enea, der andere Schweizer, schaute mich ausdruckslos an.

Bei der Zeitungslektüre genügt beinahe schon ein einziger Satz. Gestern beispielsweise auf der Titelseite im Vorspann zu einer Randspalte: »Trump spricht im Interview mit europäischen Zeitungen«. Nicht »Bild« und »Times«, sondern europäische Zeitungen. Das rückt alles zurecht. Der Satz würde vermutlich noch stärker wirken, wenn ich ihn in einem Lokal in Freiburg gelesen hätte, wo die Schweiz schon ganz nahe scheint, vor allem räumlich. Er funktioniert aber auch noch am Savignyplatz in Berlin. Es gibt Menschen, die halten die Schweizer Sprache für eine Art Dialekt des Deutschen. Dann könnte ich mir das abendliche Sprachbad sparen. Auf einer Folgeseite, noch immer im Politikteil, fand sich eine ganzseitige Erzählung von den Straßenrestaurants in Singapur: »Tische und Hocker sind profan und am Boden festgeschraubt; für Kinder sind das ideale Turngeräte. Eine Zuordnung der Plätze zu einer bestimmten Küche gibt es nicht. Es herrscht Selbstbedienung. Ventilatoren blasen, Plasticgeschirr klappert. Angestellte räumen die verschmierten Teller ab und schieben sie auf Servierwagen in die Küche. Kinder schreien, und sporadisch heulen Mixer auf. Die Luft ist voller Dämpfe und scharfer Gerüche, es ist überall feucht und nass. Im Neonlicht glänzen die braun-grillierten Gänse fettig, daneben liegen blasse, rohe Hähnchen. Grosse Schweinsstücke versperren wie ein fleischiger Vorhang die Sicht auf Töpfe und Bratpfannen.« Ein Meisterwerk. Ganz klar. Als Objekt abgesandt aus einer Galaxie im außereuropäischen Weltraum.

Der große See friert jetzt zu. Die Verkehrsschiffe hinterlassen gurgelnde Geräusche.