18.10.2019

In der Zeitung war heute früh ein Foto abgebildet von einem Murmeltier, das im Moment darauf von einem ebenfalls abgebildeten Fuchs (Weibchen) aufgefressen wurde. Das Murmeltier ist senkrecht auffliegend in gestreckter Körperhaltung zu sehen — beim Eiskustlauf heisst die Figur bei Menschen Doppelaxel, glaube ich. Der Gesichtsausdruck zeigt ein menschliches Erschrecken, die Murmeltieraugenlieder aufgerissen, das weisse im Murmeltierauge ist zu sehen; aus dem Mund ragen die als charakteristisch wahrgenommenen Murmeltierzähne, die man ja ansonsten nie zu Gesicht bekommt. Weil man das Murmeltier nie zu Gesicht bekommt. Im Engadin hatten wir uns da sehr gewünscht, auf dem Gipfel bei Segantinis Hütte droben, ein Murmeltier zu Gesicht zu bekommen; eines ansichtig werden zu dürfen. Stattdessen führte man uns dort zu Fröschen. Auch nicht schlecht.

Das Punctum von der Murmeltiertodesangstsekunde wurde von einer Chinesin aufgenommen, die gnadenlos abdrückte, als sie im Himalaya auf der Lauer liegend zur Zeugin gemacht wurde bei dieser Begegnung von hungriger Füchsin und Murmeltier, soeben aus dem Winterschlaf erwacht und dann gleich sowas; beziehungsweise, wie Rainald Goetz einst geschrieben hat: «Wenn Schlafen schon so schön ist, dann muss ja… nein, Quatsch!»

In der sachlich formulierten Bildunterschrift heisst es, dass die Füchsin selbst nicht aus Hunger handelt, sondern Nachwuchs zu versorgen hat mit dem erbeuteten Murmeltier. Ich werde derzeit auch getrieben von einem wölfischen Appetit, der mich andauernd übermannt — angeblich ganz normal, beziehungsweise natürlich in den Tagen bis Erntedank. Am Mittwoch beispielsweise, als wir bei Renate von Metzler eingeladen waren, ass ich sehr viele kleine Schnitzel. Es gibt dort in jedem Jahr Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Angeblich hat der Hirnforscher Wolf Singer zu dieser Tradition angeregt. Ich bekam von meiner Tischnachbarin Frau Lueken, die Vegetarierin ist und sich von Beilagen ernährt, beinahe sämtliche ihre Schnitzel geschenkt. Dann kam endlich auch noch der Kellner mit dem zweiten Servis. Danach war ich sehr satt und bereit zu meiner Verpuppung. Fragte mich aber insgeheim, wie lange das wohl anhalten würde, dieses Gefühl des Gesättigtseins. Bis mir endlich meine Flügel wachsen, oder doch wieder bloss bis Erntedank?

Gar nicht insgeheim wurde in den wunderschönen Räumen des Metzlerschen Stadtpalais von Politik geredet. Das hat sich freilich extrem geändert, seit Errichtung des Hauses: Früher, zu Knigges Zeiten noch, war das Sprechen über Krankheiten, über Religionen oder politische Ansichten in der Gesellschaft nicht gerade tabu, aber man sollte es zu vermeiden versuchen. An meinem Tisch ging es um Handke, also eine mittlerweile als toxisch verstandene Mixtur aus allen dreien. Herr Jung, der auch Verleger von Handke ist, entschuldigte sich nach einer Weile bei Frau Gerster, die hierbei das Wort führte, und ging heim. Ich nahm aus dem Augenwinkel aber wahr, dass im Nebenraum schon schüsselweise die Mousse mit Schlag hereingetragen wurde.

Es ist halt mittlerweile nicht bloss mit der Wohnungssuche genau andersherum geworden, als es früher war, worüber ich neulich noch mit Martin Mosebach sprach, der vorgestern wie es heisst durch Abwesenheit glänzte, weil er bis auf Weiteres in Marokko weilt. Es sind auch nicht mehr die Unvernünftigen die aussterben, wie Handke einst befürchtet hat. Beziehungsweise tut sich was im Reich der Vernunft.

Morgen ist Aktionstag für Chicken Mc Nuggets bei Mc Donalds. Bundesweit.