18.11.

Nebenbei las ich sämtliche Kritiken der Obstdiebin und musste mir, wenn auch nicht physisch, doch seelisch die Augen reiben. Wie unterschiedlich wir Menschen sind. Selbst in der Süddeutschen, wo seinerzeit Der Bildverlust, also das Vorgängerbuch von Thomas Steinfeld gepriesen worden war (in jener für die Zeitungslandschaft stürmischen Zeit, als Frank Schirrmacher den Großen Austausch im Feuilleton verursacht hatte), schrieb jetzt Lothar Müller pflichtschuldig, insgesamt eher abgeturnt von der Vergeblichkeit, mit der Peter Handke sich daran versucht, einen Text zu schreiben, der Handlung haben müsste — weil er, das ist die Logik: atens) lang ist und b) stimmt das gar nicht, denn es steht auf dem Schutzumschlag nicht Roman und auch nicht in der Titelei. Das Feuilleton der Süddeutschen war einst der Ort, in dem Peter Handke selbst als Fürsprecher für Hermann Lenz auftrat in einem Artikel mit der schönen Überschrift »Tage wie ausgeblasene Eier«.

Wenn er, Handke, eine Biene beschreibt, dann steht da »wollig, pelzig, in den altbekannten Bienenfarben«. Bemängelt wird, von Ijoma Mangold, das Fehlen des Konflikts, bemängelt wird eine psychologische Ausgestaltung der sogenannten Figuren. Bemängelt wird im Grunde das Schöne an diesem Text. Es dürfte nicht sein. Für mich sind das Indikatoren der allgegenwärtigen Mauligkeit über den Stress und die eigene Gestresstheit, der ja viel zu oft Gammelstress ist. Die wenige Zeit, die einem angeblich gelassen wird (oder die man sich selbst nicht mehr zugesteht). Der Schwund an Muße, die eingetauscht wurde wie die Lachfähigkeit Tim Thalers. Eingetauscht gegen ein geregeltes Einkommen, gegen einen Induktionsherd. Mich erinnern diese Kritiken an die saure Miene der Kellnerin, wenn sich ein Gast zur frühen Stunde ein Glas Wein bestellt. Weil sie ihm die Muße neidet und selbst gerne eins hätte.