18.3.

Die Isoliermatte liegt stramm zusammengerollt zwischen den Gleisen. Zeltlager, Habsel eines Obdachlosen, Yoga – alle drei Lesarten sind möglich. Und eine vierte, persönliche: das frische Grün des Schaumstoffs auf dem nassen Holz der Bahnschwelle orchestriert meinen Weltschmerz. Anne Clarke, so steht es auf ihrer Website, geht es gut. Mir nicht.

Ich leide am Wetter, an der Blattlosigkeit der Zweige, den schwarzen Stämmen, der ganzen Tristesse der Natur, wohin ich auch schaue. Ich leide am großen Zusammenhang, an seiner Größe vor allem, im Grunde. Alles ausgelöst, so meine ich, durch einen einzigen Satz, vermutlich waren es noch zwei, die ich selbst ausgesprochen hatte in kleiner Runde. Es ging um die Zukunft, um Träume, meine, und ich denke nun, ich hätte es für mich behalten sollen, aber sobald etwas, selbst Träume und Hoffnungen, ausgesprochen wurden, sind sie unwiderruflich in der Welt, und es wird wahr.

Nichts, das mich noch trösten könnte. Auch nicht der bezaubernde Satz, den Lars Weisbrod bei Walter Kempowski ausgegraben hatte, in dem letzter Vanillepudding isst. Himbeersauce gibt es dazu nicht. In der Folge dann fragt er (Kempowski in seinem Tagebuch): Warum eigentlich nicht?

Ja, warum eigentlich nicht. Ein Telefon spielt Total Eclipse of the Heart von Bonnie Tyler, mir fällt die Interpretation von Yuridia ein, die ich in Mexiko zu ersten Mal gehört habe. Die hat dem Original noch etwas Entscheidendes hinzuzufügen, aber besser macht das meinen Weltschmerz auch nicht hinsichtlich einer Linderung.

Gestern nachmittag wurde in Bonn das Bonner Zentrum gesprengt, es ging ganz schnell. Am Westkreuz steht ein ganz ähnlich geformtes Haus mit vielen Etagen, das wird nun schon seit über einem halben Jahr ausgehölt, Etage für Etage, inzwischen ist es ein betoniertes Skelett. Als die Fassade noch dran war, im letzten Sommer, stand dort in sechs Meter hohen Buchstaben »Gönn dir hart«. Ich habe mich immer gefragt, ob die sich vom Dach herunter abgeseilt hatten, um die Buchstaben aufzusprühen an das damals schon leerstehende Haus. Jetzt frage ich mich, ob die ganze Dekonstruktionsarbeit bloß die Vorbereitung sein wird für die Sprengung, oder ob es dann in diesem Sommer von unten nach oben hin wieder aufgebaut werden wird, entlang seines Knochengerüstes. Wenn das dann immer so weiterginge. Vergleichbar mit den Jahreszeiten. Fassade runter, Fassade rauf, dazwischen nackt.

Dann öffnen sich die Türen der Bahn, der Flöter kommt herein und spielt eine Melodie der Renaissance. Die Querflöte ist wunderbares Instrument. Die Töne steigen aus auf ihr wie Blasen eines bunten Fisches, der vor einer Wiese aus Seeanemonen sich in der Schwebe hält wie ein Kolibri. Als das Lied zu Ende ist, gibt ihm niemand auch nur ein Stück Geld. Der mir gegenüber Sitzende trägt um seine Lippen herum einen Bart aus gelblichen Stoppeln, zu einer Linie so schmal wie Dentalbürstchen rasiert.