18.3.2019

Sechs herrliche Tage in der Heimat, jetzt sind sie verstrichen. Am Samstag hat mir mein Vater noch die Grundzüge seines Rosenschnittwissens vermittelt, die er schon von seinem Vater vermittelt bekam. Wieviele Augen man abzählen sollte am Holz, bevor man den oberen Rest mit der Schere abnimmt—wobei diese Zahl keine starre Größe darstellen darf, es zählt auch das Gefühl. Man hat, erzählte mein Vater, die Auszubildenden im Gärtnerberuf einst mitten in der Nacht auf die Bäume geschickt, wo sie sich ihne Licht mit ihren Scheren in der Krone betätigen mussten—um eben dieses Gefühl für den gut plazierten Schnitt zu schärfen. Der Merksatz lautet »Wenn es oben licht ist, bleibt es unten stark.«

Da mußte ich freilich ans Schreiben denken, denn für das Auslichten eines Textes scheint mir dieser Merksatz ebenfalls anwendbar. Jedenfalls sah ich heute vor dem Abschied, dass an sämtlichen von uns beschnittenen Rosenstöcken inzwischen die grünen Blätter hervorgetrieben wurden. Noch frisch und vom Wachs wie neu glänzend. Sie sind es ja auch (neu.)

Nach einer intensiven Session des Baum- oder Strauchschneidens geht man mit ähnlich geschärftem Blick durch die Welt, wie nach einem Tag am Schreibtisch, wenn man einen Text durchkorrigiert hat. Dann redigiert man im Geiste sogar Speisekarten und Ladenschilder, Graffitis, es hört nicht mehr auf. Ähnlich ging es mir beim Anblick von Bäumen und Strauchgesellen in anderer Leute Gärten: Hier sollten die noch; das ist doch zu viel. Unter Obstbäumen stehend soll man bequem einen Hut durch die Krone himmelwärts schleudern können. Unter einem Rosenstock wäre es wohl der Hut einer Maus, den man sich vorstellen muß, und wie sie ihn durchs Rosenzweigegeäst himmelwärts schleudert.