18.5.2019

Nach vier Wochen Zürich ist Berlin wie Afrika. Und auch ich selbst machte wohl einen dubiosen Eindruck auf die Eingeborenen. So winkte man mich, nachdem ich 47 Minuten auf mein Gepäck gewartet hatte, bis es sich endlich aus der todmüd quietschenden Schleuse schälen sollte, in der Zollkabine aus dem Strom der Einreisenden heraus. Wahrheitsgemäss gab ich den Inhalt meiner Tasche an mit «ungewaschener Leibwäsche». Doch die darin eingebetteten fünf Kilogramm Cervelat wurden mir abgenommen, weil die Einfuhr von Wurst- und Fleischwaren aus einem nicht-EU-Land nicht erlaubt ist. Wusste ich nicht. Ist doch seltsam, wenn zugleich die Schweizer an den Wochenenden ihre Einkäufe in den grenznahen Supermärkten auf deutschem Territorium erledigen dürfen, und man ihnen dort auch gleich noch die Mehrwertsteuer erstattet. Denke mal, dass es am gestrigen Nachmittag auf einer Reinickendorfer Terrasse würzig mild nach scharf grillierten Wurstwaren aus der Metzgerei Keller am Züricher Manesseplatz geduftet haben wird (und die Dame des Hauses poliert ihre Ernst-Jünger-haft ausladende Sammlung von Nagelscheren aus aller Welt). 

Ich fand die Szene dennoch heiter, da ich ja unter meiner Jacke das T-Shirt trug von einem Schweizer Zollbeamten, das ich in Bulgarien in einem Second-Hand-Shop erstanden hatte. Und den dünnen Stapel Tausendfrankenscheine, umwickelt mit einigen Lindt-Aktien, hätte der Kollege bei seinem nachlässigen Herumkramen in meinem Tascheninhalt wohl nicht aufgestöbert.

Heiter gesinnt, lenkte ich den Dieselklepper heimwärts auf meine Ghostranch. Und fand dort mein Heim, zum allerbesten nur, verändert vor. In den vergangenen Wochen waren die Schwarzpappel zur rechten Seit’, die Winterlinde zur linken, voll ergrünt dergestalt, dass ich nun zum ersten Mal vor Augen hatte, was meine Vermieterin bei der Besichtigung im Januar mit der einmaligen Aussicht gemeint hatte: dass diese beiden Bäume ungewöhnlich nah am Hause wurzelten, war mir schon in deren kahlen Zeit aufgefallen. Jetzt aber greife ich bei geöffneten Fenstern direkt ins volle Grün hinein. Sagenhafte Perspektiven. Andere zahlen Eintrittsgeld für ein paar Stunden im Baumwipfelpark. Ich lebe so.

In dem ausgebauten Restnest, das vor ein paar Wochen noch den Lebensmittelpunkt des Mutisten dargestellt hatte, sass jetzt eine aufgeplusterte Taube. Offenbar brütet sie dort auf einem Ei. 

Ich nahm eine frische weisse Hose aus dem Schrank.