18.6.

Die Mütter der Wasservögel bringen den Küken bei, wie man hin und her fährt, wie man etwas aufschlürft, wie man über die kleine Schleuse klettert und hüpft, wie man taucht und wie man schläft. Aber ich beobachte es nun schon seit Wochen: Es gibt keinen Nestbaukurs, das scheint instinktiv verankert oder gepflanzt; von daher ist es umso erstaunlicher, was die geschlechtsreifen Tiere dann so von sich aus zustande bringen. Die Enten brüten irgendwo bodennah in den Gebüschen, ich habe noch keines ihrer Nester entdeckt. Aber die Blässhühner haben sich jetzt in diesem Jahr schon zum dritten Mal an derselben Stelle ein Nest auf dem Wasser errichtet. Obwohl dort die erste Brut komplett vernichtet wurde. Das zweite Nest wurde vom Sturm und den Wellen zerstört – sie halten an dieser Stelle fest. Und die ist eigentlich ja auch ideal, weil sie von einem Winkel aus Eisenplatten gegen den See abgegrenzt wird (und obendrüber liegt ein Gitter): Es ist also schattig dort, und sie sind gegen beinahe sämtliche Feinde geschützt, die den Eiern und später den Küken, etwas antun wollen könnten.

Seit zwei Tagen aber sitzt nun auf einem der Poller ein Kormoran. Ein leider hässliches Tier, das Gesicht, wenn man so will, ist verformt, als wäre der Schöpfer in Eile gewesen beim Zuendekneten, oder hätte, der Kormoran ist halt schon etwas länger da, aber trotzdem: nebenbei mit zwischen Kinn und Hals eingeklemmtem Gerät telefoniert. Der Schnabel ist im Vergleich zu dem des Kranichs, der hier auch immer rentnermäßig (manche würden ihn als Dandy bezeichnen) über die Planken spaziert, erstaunlich kurz, denn in allen Quellen wird behauptet, dass der Kormoran den übrigen fischfangenden Vögeln bei weitem überlegen sei (Pelikane gibts hier am See leider nicht).

Was der Kormoran macht, wenn er ansitzt, sieht an und für sich schon so bedrohlich aus, dass ich Schlimmstes befürchten muss für die Blässhuhnküken, wenn die Elterntiere erst einmal fertig sein werden mit dem Brüten (noch ungefähr zehn Tage). Er taucht ja viel, danach breitet er minutenlang seine Schwingen aus, um die Federn gegen die Sonne gehalten trocknen zu lassen. Die Schwärze seines Gefieders erscheint dann aufgehellt, aber nicht etwa bräunlich oder rötlich, sondern lediglich etwas durchlässiger, und bleibt von der Empfindung her, nicht allein von der Wahrnehmung: schwarz.

Ich habe nur einmal noch einen so schrecklichen Vogel gesehen, das war in Afrika, als ich eines Morgens duschte, auf dem Dach eines Hotels, das es mittlerweile nicht mehr geben wird in dieser Form, weil es abgebrannt ist. Und das Wasser rauschte zwar nicht unbedingt aus dem Duschkopf, aber es war trotzdem ganz angenehm, bis ich dieses Geräusch hörte, das alles übertönte. Und dann saß ein paar Meter neben mir ein Geier, der sich plusterte. Der ging mir so in etwa bis zum Nabel, während er saß. Und schaute mich an. Mit seinen verschrumpelten Augen. In etwa entsprach das damals, bloß halt in verkehrter Weise, dem Größenverhältnis zwischen Kormoran und Blässhuhn – oder Hahn, ich weiß ja nie, wer aktuell brütet auf dem Nest aus Plastiktüte, Seerosenblättern und obendrauf kreisrund geflochtenem Weidenreisig, denn bei Blässhühnern gibt es nicht bloß keine ersichtlichen Geschlechtsfärbungen im Federkleid, sie teilen sich auch die Brütarbeit und die Aufzucht paritätisch (und das, natürlich, instinktiv).

Ich könnte den Kormoran töten. Es gibt eine Lücke zwischen dem alten Baum rechts im Visier und dem herunterhängenden Zweig. Von meinem Balkon aus führt eine von mir gedachte Linie geradewegs hin zu ihm in seine Brust, während er dort seine Flügel spreizt. Es sind knapp sechzig Meter, das wäre für mich kein Problem. Dann würde ich verhaftet, wahrscheinlich – der Kormoran war Vogel des Jahres 2010.

Für Jan, der heute Geburtstag hat, aber nicht nur. Und nicht nur deswegen .—