19.2.2019

Ob es das überhaupt geben kann, einen stummen Vogel, das würde ich jetzt so gern mit Professor Berthold besprechen können. Einmal, das ist schon viele Jahre her, noch bevor er emeritiert wurde, habe ich ihn droben in Radolfzell besucht. Eine lange Fahrt, der Ort selbst war mir bis dahin bloß als Herrstellungsstätte von Unterwäsche der Marke Schiesser ein Begriff gewesen. Der Firma ging es damals schon schlecht, obwohl sie da gerade eine von Kostas Murkudis neu entworfene Kollektion in Feinripp herausgebracht hatten, die bis heute Bestand haben dürfte. Als ich am Bahnhof von Radolfzell ausstieg, war es dort still und schön.

Professor Berthold, für den ich von einem auf CD bei supposé verlegten Vortrag entflammt worden war, sprach auch in der Natur einherstapfend genau so animiert und animierend über die Vögel. Wir trafen uns auf einem weiten Stück Landschaft mit langstieligen Wiesen, das von der Heinz-Sielmann-Stiftung gestiftet ward und Berthold erzählte mir alles, was ich wissen wollte und von der noch nicht auf der CD geredet hatte. Im freien Vortrag übrigens. Die Aufnahmen waren in einem Stück gemacht worden. Wie Berthold meinte »Abends, beim Bier.«

Heute früh saß der Amselhahn wieder sang und klanglos im Geäst an der üblichen Stelle. Gut, heute ist es zudem noch trüb, aber das scheint die anderen Kollegen nicht zu kümmern: sie flöten ihre Lieder. Er aber macht auf mich einen schwermütigen Eindruck. Ab und an sperrt er den Schnabel auf, als müsste er gähnen. Dann wieder schabt und wetzt er mit dem geschlossenen Schnabel an den Zweigen herum, so als würde er gerne etwas daran haftendes loswerden—so kam ich drauf, dass er möglicherweise stumm ist: er scheint zu spüren, dass er lossingen will, aber es geht nicht. Da ist eine Sperre, wie ein durchsichtiges Gummiband rings um den Schnabel stelle ich sie mir vor, die ihn daran hindert. Ob die nun physisch besteht, oder unbezwingbar in seiner Psyche agiert: unmöglich herauszufinden. Oder halt erst nach eingehender und bestimmt sehr teurer Untersuchung inklusive Magnetresonanztomographie. Den Streß würde er am Ende vielleicht nicht einmal überleben.

Erfreulich war, als ich gestern nach dem Lesen im Park von der Bank aufgestanden war, hatte mein Pullover lauter winzige gelbe Flecken. Ich konnte mir erst nicht erklären woher. Aber ich war die ganze Zeit unter einem Haselnußstrauch gesessen, dessen biegsame Zweige über und über voll hingen mit ihren gelben Haselnußwürschtle. Und jetzt hörte und sah ich es auch: es summte dort vor lauter Bienen, die sich ihre Beintaschen vollstopften mit dem gelben Blütenstaub, von dem auch mein Pullover getüpfelt war.