19.6.

Die Krähe vor dem Hotel (Leipzig) macht mit einem leeren Kaffeebecher (Pappe) dasselbe, wie ihre Artgenossen daheim mit den Muscheln. Das Geschehen verfolgte ich einigermaßen zwangsläufig mit Interesse, da ich am Vortage kurz hinter Lutherstadt Wittenberg einen meiner Brillenbügel eingebüßt hatte, als ich von einem Mann in Camouflage brutal aus meinem Nachmittagsschlaf geweckt worden war, weil der sich der unverbesserlichen Ansicht behaupten konnte, dass ich auf einem von ihm bereits seit Berlin reservierten Sitzplatz säße. Im Bordbistro des IC traf ich daraufhin auf Philomene und Jan, und wir feierten ein bisschen Geburtstag.

Abends dann, nachdem ich vor meinem Hotel in eine Auseinandersetzung mit drei muskulösen Frauen verwickelt worden war, die dort, auf dem Trottoir der Hedwigstraße, einen Stativgrill in Gang zu bringen versucht hatten, schlief ich zum ersten Mal nicht ein beim Betrachten einer Oper. Und das lag an meinem lieben Fernrohr, mit Hilfe dessen ich nun endlich auch sehen konnte, was in den Schauspielern dort auf der Bühne vorzugehen schien, während sie sangen. Ich kenne mich mit Opern überhaupt gar nicht aus, erfuhr aber hinterher, auf der Geburtstags- und Premierenfeier im Kolonnadenviertel, dass es viele Menschen gibt, denen die Musik und die Lieder aus Arabella von Richard Strauss bis hin zum Auswendigkönnen vertraut sind.

Eigentlich ist Leipzig ganz schön. Besonders gut fand ich den Platz vor dem Opernhaus, als ich dort in der Pause auf der obersten Treppenstufe stand und in den golden bedampften Frontscheiben des Gewandhauses spiegelte sich das Licht der Sonne, die während des dritten Aktes würde untergehen. Aus dem kreisförmigen Brunnenbecken in der Mitte des Platzes stieg eine dünne Fontäne, und eine Firma hatte dort in das Wasser eine große aufgeblasene Ente aus Gummi gesetzt. Aufdruck konnte ich nicht lesen, meines Brillenbügelproblems wegen, und weil ich das mit dem Fernrohr nur mache, wenn ich allein bin (oder im Dunkeln, wie in dem Saal). Der Kritiker neben mir – noch längere Haare als ich, dazu auch noch Locken, also von Lutherstadt Wittenberg und IC-Fahren würde ich ihm abraten –, flüsterte mir später noch zu, dass er sein Opernglas leider zuhause vergessen habe »unverzeihlich, an so einem Abend.«