19.8.

»Nur in alten südlichen Städten gibt es dieses Laternenlicht, das mühelos die Schleusen der Erinnerung öffnet«, las ich neulich in einer Kritik von Andreas Kilb zu Julieta, dem neuen Film von Pedro Almodóvar. Und das ist so. Es ist ein orangefarbenes, punktuell klares, dann zu den Seiten hin ausblutendes Licht, das von den Laternen dort ausgeht. Nachts erscheinen diese Landschaften wie bewacht von dem orangefarbenen Licht. Dazu feilen die Grillen und raspeln die Frösche. Autos geben beim Anfahren unnötig viel Gas. Zu Silvester gibt es kein Feuerwerk, es wird gehupt.

Man weiß sofort, dass man dort ist, gleich bei der Ankunft. Hat man sich dort jemals wohlgefühlt (wozu es keine Verpflichtung gibt), atmet man auf, denn nun ist man daheim.

Die Laternen auf der gegenüberliegenden Seite des Sees hier haben eine ähnliche Wirkung. Als ich neulich mit Christoph gegenüber des Stehimbisses zum Schleckermäulchen nachtessen war, erzählte er mir von einem Buch, in dem er gelesen hatte, dass es noch immer als eine ideale Umgebung für Menschen gilt, wenn ihre Behausung sich auf einem Hügel befindet, mit einem Blick auf ein Wasser und im Rücken der Wald (oder zumindest stünden dort Bäume). Das sei so, laut Christoph, weil Menschen seit Urzeiten sich solche Umgebungen als Siedlungsplätze gesucht; um eine Wasserquelle in der Nähe zu haben, dazu den Schutz im Rücken, sowie Ausblick nach vorne, um im Vorhinein erkennen zu können, falls sich eine Gruppe von Feinden anschleicht.

Kann gut sein, dass ich deswegen hier selig bin. Kann aber auch genauso gut sein, dass es hier schön ist. Ich las in einem Buch von Wolfgang Ullrich über »Raffinierte Kunst« von einer Erfindung der Landschaftsmaler, die als Claude-Glas bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich um einen Spiegel, konvex, sodass das darin Gespiegelte etwas verkleinert und somit entrückt dargestellt wurde. Das Claude-Glas gab es in Schwarz getönt und in Gelb, um Mondlicht oder Sonnenaufgänge simulieren zu können. Das Claude-Glas wurde angeblich sogar eingesetzt, um bereits existierende Landschaftsgemälde in einer idealisierten Darstellung betrachten zu können.

Ich schaute in die Lichtsituation, in jene Lücke zwischen der Bäckerei und den Bäumen: wie das noch einmal hell einstrahlende Sonnengelb in den Frisuren der Passanten eine Korona erzeugte; wie es durch einen Stapel aus Leihfahrrädern hindurch schöne Effekte auf die Oberflächen der Sättel und Griffschalen produzierte. Selbst das elfenbeinfarbene Oberdach eines vorüberfahrenden Doppeldeckerbusses (»Ich soll Sie schön grüßen«) wirkte veredelt. Und vielleicht ist das ja wirklich so, dass mir ein solches Claude-Glas gehirnlich immer schon eingebaut war.