20.6.

»Loud Pipes Save Lives«

»Gigaspeed For You«

Im Fernseher läuft die Übertragung eines Formel-1-Rennens aus Baku, in der Werbepause steht in weißen Buchstaben über fünf weißen Fahrzeugen »Hello Future«, im Anschluß zeigen sich Saxophone und Posaunen, sie werben für den ADAC, also »Hallo Vergangenheit«, und insgesamt ist es damit halt so gekommen, wie Mixmaster Morris es vor vielen, vielen Jahren einst auf die Hülle seiner sehr guten Schallplatte hatte drucken lassen: »It’s Tomorrow Already«.

Im Opernhaus war gestern eine Leuchttafel hoch über der Bühne angebracht, auf der der gesungene Text zum Mitlesen angezeigt wurde: »Ich will Abschied nehmen von meiner Mädchenzeit«, darunter war der Chor zu einer Feier zusammengetreten und obwohl gar nicht viel getanzt wurde (es lief ja naturgemäß und zwangsläufig andauernd Musik), war Partystimmung entstanden. Und das mit einer einzigen Geste, als ein stummer Diener, der als einziger in Lila gekleidet war, von einem silbernen Tablett einen funkelnd bunten Hut überreichte. Die ganze Inszenierung bestand aus solchen schönen Gesten, aber hier war es besonders eindrücklich, wie wenig es braucht, um ein Ritual zu erklären. Ich ging mit dem Fernrohr von Gesicht zu Gesicht und erkannte, dass jeder einzelner dieser Partygastdarsteller inszeniert worden war. Keiner stand einfach so herum als Staffage, die Partystimmung, die ich fühlen konnte, bestand aus diesen einstudierten Gesten und Gesichtsausdrücken und diesem genau choreografierten Wink mit dem Hut.

Ich bin ja sehr anfällig für Bühnenbilder. Ein gutes Bühnenbild ersetzt mir schon beinahe den Theatergenuss — Jeff Koons damals in Hamburg, Johanna von Orleans im Deutschen Theater, Einstein on the Beach im Haus der Berliner Festspiele, eben dort Phantom Ghost in der Installation von Cosima von Bonin (mit dem tollen Film über die Erfindung des Balletttanzens im ersten öffentlichen Aquarium im Zoo von Paris), Der Die Mann in der Volksbühne und dann eben Leipzig: Im ersten Akt sind es drei unverbundene, nebeneinander plazierte Räume, die, wie es in Der junge Mann von Botho Strauß heißt, im Stile eines »abgelebten Futur« eingerichtet sind. Später rücken sie ein wenig aneinander, im zweiten Akt sind sie ein wenig in den Boden eingesenkt, sodass sich bei mir der Eindruck ergab, dieser Akt spiele nun im selben Hause noch, dort aber unter dem Dach. Im letzten Bild erscheinen die Elemente aneinander gefahren und bilden in ihrer Zusammensetzung einen Salon, den ich sozusagen nicht hatte kommen sehen – obwohl doch beinahe alle seiner Bestandteile über zwei Stunden lang mir vor Augen gestanden hatten.

Alles, was ich von Jans Arbeit kenne, kommt auf diese zauberische Weise zustande. Und es entsteht immer wie aus natürliche Weise aus dem Stoff selbst, nichts daran wirkt ausgedacht oder hinzugedichtet. Es handelt sich also um den krassen Gegensatz zu dem, was ich als meine Arbeitsweise bezeichnen kann. Und vermutlich liegt darin auch der Grund, weshalb wir jetzt schon seit 17 Jahren Freunde sind. Auch wenn ich mit der Musik in Opern noch immer nichts anfangen kann. Aber als in der Arabella an der Stelle mit dem Kuss ganz vage sich die Melodie von »Wenn ich ein Vöglein wär« kristallisierte, da tat sich für ein paar Augenblicke so etwas für mich auf wie eine seelische Tür.