20.9.

Exkursion nach Starigrad, der anderen Stadt auf der Insel. Hvar ist, von oben betrachtet, extrem dünn, dafür unverhältnismäßig lang. Ungefähr so, wie ein durch intensive Sonneneinwirkung warm und weich gewordener Autoaufkleber von Sylt, den zwei streitende Kinder an den Enden gefasst, weit und weiter auseinandergezogen haben. Im Gegensatz zu Sylt ist die kroatische Schwesterinsel aber nicht bloß länger, sie ist auch sehr bergig. Die Stadt mit dem Namen Stari — denn Grad bedeutet Stadt, was ältere Leser sich schon gedacht haben werden, denn auch die Stadt Stalin lautet unter anderen daraufhin an — liegt Hvar zwar auf der Karte direkt gegenüber, trotzdem dauert die Fahrt mehr als eine halbe Stunde, in denen der Bus sich einmal ganz in die kroatische Bergwelt hinauf und dann natürlich auch von den Gipfeln wieder auf die Höhe des Meeresspiegels hinunter schrauben muss.

Von solchen Busfahrten durch die karstige Bergwelt des ehemaligen Jugoslawien hat schon Peter Handke geschwärmt. Ich kann ihm nur zustimmen. Die Landschaft, die ausschließlich aus weißen und hellen Steinbrocken, Kiefern und unbekannten Sträuchern besteht, ist wunderbar. Ich kann mich nur an eine vergleichbar schöne Busfahrt erinnern, die führte von Oaxaca zurück in die Hauptstadt und vor meinem Fenster waren an den kargen Hängen der Sierra Madre del Sur ganze Wälder aus Kakteen zu sehen. Die Kakteen gedeihen auf Hvar nur in der Küstenregion. In den Bergen oben war es auch neblig, und an den steilen Hängen waren netzartige Muster zu erkennen: das waren Hunderte Trockensteinmauern, mit denen die Kroaten seit Jahrhunderten die Erosion ihrer karstigen Hänge einzudämmen versuchen. Man kann sich diese Arbeit der Bergbevölkerung nicht schwer genug vorstellen. Sie besteht hauptsächlich aus dem Schleppen und Aufschichten von Steinen.

Dementsprechend besteht das Mahnmal für die Opfer des deutschen Nationalsozialismus im Hafen von Starigrad auch aus einem hühnenhaften Mann mit Hammer. Die Stadt Stari feierte übrigens im vergangenen Jahr ihr zweitausendvierhundertjähriges Bestehen. Es gibt eine im Verhältnis zur Größe des Städtchens gewaltige Anzahl von Kirchen. Eine der ersten, sie steht direkt am mit dem herrlich klaren Salzwasser gefüllten Hafenbecken, ist derart übertrieben niedrig und klein, das daneben stehende Kloster dito, dass sich ein plastisches Bild ergibt von der Körpergröße der Menschen vor sechshundert Jahren: Sie waren winzig. Die Bronzestatue des Arbeiters ragt von der Kirche aus betrachtet geradezu Unheil verkündend empor.

Auch in Stari übrigens keinerlei Fisch. Auch auf dem Markt von Starigrad bleibt die Fischhalle während der Belagerung durch die durstigen Briten dauerhaft geschlossen. Kroatisches Sashimi, eine Platte mit dick aufgeschnittener Salami zum kräftigen Brot, wird serviert. Dazu gibt es Unmengen des inseltypischen Trinkjoghurts, der zäh reißend aus dem Flaschenhals in den Schlund fällt.

Schon vom Bus aus war uns am Ende eines Pinienwaldes ein angenehm brutalistisches Gebäude aufgefallen. Dabei handelete es sich, wie wir durch Erkundung dieses Waldes herausfanden, um die Hotelanlage Helios aus den sozialistischen Zeiten. Einer gewaltigen Stadt aus Bungalows und mehrstöckigen Riegelbauten, die sich um verrostete Tennisplätze, Fußballfelder und Minigolfanlagen gruppiert bis an die Küste erstreckte. Dort präsidierte, gewissermaßen als Krone dieser architektonischen Schöpfung, das schönste Hotelgebäude, das zumindest ich je schauen durfte. Es hieß auch so: Arkadia. Erbaut für circa ein- bis zweitausend ihrer Erholung bedürftiger Arbeiter hatte das Haus nichts von seinem ehrwürdigen Glanz verloren. Ganz im Gegenteil: Es wirkte gerade im heutigen Hvar luxuriös. Zurückhaltend, geradezu dezent waren die Speisesäle eingerichtet und kaum dekoriert, in denen gerne fünfhundert Personen gleichzeitig ihr Abendessen einnehmen konnten. Aus der Küche, die eiserne Tür stand einen Spalt weit offen, hörten wir fröhlichen Gesang. Offenbar ging die Arbeit gut von der Hand. Beinahe sämtliche Zimmer wiesen auf die Bucht hinaus. Der Krümmungswinkel des Gebäudes war so berechnet worden, dass von sämtlichen Fenstern aus lediglich die unbebauten Berge und das herrlich türkisblaue Meerwasser zu sehen blieb. So konnte sich jeder hier während seines Aufenthaltes dem Eindruck hingeben, wie es hier auf Hvar vor zweitausendvierhundert Jahren ausgesehen hatte. Vor der Erfindung von Nationalsozialismus, Pub Crawling, Jachten und elektrischem Stroms.