2.12.2019

Die Koreaner, eine Hälfte der Bevölkerung Südkoreas sind wohl Christen, von denen im Norden weiss ich nichts, hegen eigene Weihnachtsbräuche. Das habe ich ausnahmsweise nicht aus dem Fernsehen, sondern vor Ort selbst beobachten können. Zuerst am Samstagnachmittag und dann gestern noch einmal. Am Samstag war ich eher zufällig in den historischen Weihnachtsmarkt in der Sophienstrasse geraten — der Duft von Lausitzer Bratwürsten hatte mich angelockt. Meine schmeckte dann leider enttäuschend, ich konnte jedenfalls nichts charakteristisches an dem Geschmack dieser Bratwurst in zart reissender Hülle finden, was die mit einem Mal hohl tönende Herkunftsbezeichnung legitimieren könnte. Mein Appetit auf Lausitziana war damit gestillt. Mich abwendend entdeckte ich unter dem mit Redwood-Schindeln gedeckten Dächle des gegenüber gelegenen Standes (auch hier sind sämtliche Marktstände auf beiden Seiten dieser eher Gasse zu nennenden Strasse von einem Generalverleiher bezogen, der aber liefert im Vergleich mit den entseelten Buden vom Breitbachplatz eine manufactumhafte Qualitätsware, was sich auf die Gestimmtheit der Marktbesucher hebend auswirkt) ein groteskes Gebilde, womöglich eine Skulptur? In etwa einen halben Kubikmeter umfangend, dabei stark an Spongebob ohne Augen, Nase, Mund und Extremitäten erinnernd; im Grunde war es ein mit schwammhaft porösem Material überzogener Karton, in dem sich von seinen Dimensionen her zum Beispiel zwei Paar Skistiefel befunden haben könnten. Einst, als Skistiefel noch nicht paarweise, sondern nur zu viert verkauft wurden. Es handelte sich, das verstand ich erst, als die eine Koreanerin einen Korb aus dem sprudelnd heissen Fett ihrer Friteuse hob, um das sehr stark vergrösserte Modell eines für Koreaner traditionellen Weihnachts-Snacks. Man isst dort auf den koreanischen Weihnachtsmärkten diese quaderförmig frittierten Kroketten, die entweder mit Kartoffeln und Fleisch gefüllt sind, oder mit etwas anderem (Kimchi). In Holland, der einzigen mir bekannten Nation übrigens, die keine Speisen ihr eigen nennen kann, gibt es eine Abart dieser südkoreanischen Köstlichkeit — allerdings nicht bloss an Weihnachten, auch sind die sogenannten Frikandellen dünn und rund und überhaupt nicht knusprig. Im Gegenteil, sie sehen nicht nur aus wie sehr, sehr feucht gewordene Longfiller-Zigarren, sie schmecken auch nicht gut. Zudem wurden sie nicht bei den Südkoreanern schlecht abgekupfert, sondern bei den Belgiern, die es ja berühmterweise fertig bringen, noch dem primitivsten Frittat einen Wohlgeschmack abzupressen. Von daher wäre es sehr interessant für mich gewesen, wenn Touristen oder Geschäftsleute aus Holland hier auf dem Berliner Weihnachtsmarkt die koreanischen Para-Frikandellen hätten kosten kommen wollen. Mich hätte deren Meinung zu dem gewiss umwerfenden Geschmackserlebnis wirklich interessiert. Auch weil ich das Holländische so gerne höre. Ein Buch von mir wurde in diese schaumig perlende Sprache übersetzt, aber ich habe bis heute noch keine Holländerin getroffen, die mir daraus vorgelesen hätte. Anders als auf Autobahnen und Campingplätzen machen sich Holländer im Bild unserer Hauptstadt leider rar. Umso mehr gelten sie mir!

Am Sonntagnachmittag dann fand ausgerechnet in der skandalumwitterten Schlüterstrasse ein komplett koreanischer Weihnachtsmarkt statt. Das Koreanische ist derzeit mega im Kommen, im Skyline Plaza (Frankfurt) gibt es seit neuestem ein Fachgeschäft für koreanische Kosmetikprodukte, weil, das wurde mir aus Kosmetikkreisen verlautbart: Koreaner einen Jugendfimmel kultivieren, die finden das schick, sich vor dem Altern ihrer Antlitze zu fürchten und erfinden dagegen lauter Spezialprodukte einer alterungsverzögernden Kosmetik, die es anderswo als in Korea selbst nirgends gibt. Beispielsweise Gesichtsmasken mit dem Extrakt von Schneckenschleim. Den Trend — Wolfgang Joop hat das vor einem Jahrfünft oder noch früher schon prophezeit, dass nach dem chinoisen und dem japonaisen bald das Zeitalter des koreanischen aufzöge — hat jetzt in Berlin aber nicht etwa ein Modemensch aufgegriffen, sondern der legendäre Grossgastronom Duc, der in den vergangenen Jahren heimlich, still und luise ein wirkliches Imperium aus zwölf oder noch mehr Restaurants begründet hat mit der skurilen Besonderheit, das all diese Restaurants entlang der Kantstrasse sich befinden. Meine Theorie bislang war, dass es sich bei diesem Asiaten wohl um einen Laoten handelte oder um einen Vietnamesen, denn diese beiden Völker sind von dem durch ihre Lebenswelt mäandernden Fluss Mekong geprägt. Und die Kantstrasse, so sehe ich das: Erinnert an den Mekong. Allerdings als ein Modell des selben aus Asphalt. Da nun der koreanische Weihnachtsmarkt von ihm, Duc, organisiert und vor einem seiner Restaurants (das die geniale Geschäftsidee hat, eine im Asia-Supermarkt frei erhältliche Tütensuppe mit frisch zerhackten Zutaten verfeinert und in hübsche Schalen gefüllt für das Dreissigfache zu verkaufen) veranstaltet wurde, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob Duc noch aus den Subtropen stammt, oder nicht vielleicht doch aus Korea. Falls nicht, falls er also tatsächlich die Koreaner dort eingeladen hat, um den Trend zum Koreanischen zu melken, wächst meine Hochachtung für seinen Geschäftssinn ins Brüderliche. Man sagt ja, unter Linguisten, das Südkoreanische ist mit dem Schwäbischen verwandt. 

Tja, also es gab natürlich Kimchi. Jan, der schon in Korea war, allerdings in Nordkorea, hat mir erzählt, dass die Nordkoreaner immer eine Sillage von Kimchi hinter sich herwehend haben. Einige Koreanerinnen hatten Seife hergestellt, die wie Stein ausschaute. Möglicherweise hatten sie die auch nicht selbst hergestellt, sondern wie Duc seine Tütensuppen irgendwo anders gekauft. An anderen Ständen aber wurde live gewerkelt. Beispielsweise bestickte da ein zierlich wirkender Mann mit Beatles-Frisur sehr kleine Leinentäschchen mit den winzigsten Motiven, die man sich vorstellen kann. Der Torso einer Frau war da zu entdecken, mit blauer Knopflochseide dargestellt, aus deren Halsstumpf eine leuchtend rosa Wolke stieg. Poetisch. Neben ihm hockte eine junge Koreanerin und stach einem Freiwilligen eine Tättowierung mit einer langen Nadel in den Oberarm. Ohne Maschine, in Korea wird an Weihnachten anscheinend traditionell von Hand tättowiert. Am Tresen, wo an Wochentagen die Suppe zubereitet wird, hingen auf Kleiderbügel die Kapuzenpullover, die Duc seit neuestem vertreibt. Sie sind schwarz, aber in knallend weisser Schrift stehen auf den beiden Ärmeln die Logos aller seiner Lokale entlang der Kantstrasse. Die Ärmel sind jetzt schon, Weihnachten 2020, von den Schulternähten bis zu den Bündchen komplett dicht gedruckt. Die Kantstrasse ist länger.