21.5.

Von Andreas bekam ich nur den Kopf zu sehen, weil sie die Ruine bereits mit einem Sichtschutz umstellt hatten. Er stand dort auf einer Leiter und hielt eine Zigarette. Im Inneren gingen die Aufräumarbeiten voran. Es war Brandstiftung. Am vergangenen Mittwoch, etwa gegen 21 Uhr hat sich der- oder diejenige in das Gebüsch hinter dem Easy Rider gezwängt, die Tür dort aufgebrochen, das Innere durchsucht, kein Geld gefunden, bloß Lebensmittel und Bier, die Rückwand des Kiosks mit einem mitgebrachten Brandbeschleuniger bespritzt und angezündet. Als das Dach in Flammen stand, riefen die vom Rockertreff schräg gegenüber die Feuerwehr, aber die brauchte dann über eine Stunde, um den verborgenen Imbiss zu finden – obwohl die Feuerwache ja in Sichtweite ein paar Meter abwärts den Hügel hinunter steht. Diese Feuerwehrleute aber, das wurde Andreas erklärt, sind ausschließlich für Verkehrsunfälle auf der ebenfalls benachbarten Autobahn zuständig. Jedenfalls, als die zuständigen Floriansjünger aus Steglitz dann schließlich eintrafen, war vom Easy Rider nicht mehr viel übrig. Makaber, dass an dem vom Ruß geschwärzten Sonnendächlein über der Bedienluke ausgerechnet die Worte »Seit 1954« in hellblauer Handschrift auf gelb lackiertem Grund verschont geblieben sind.

»Ich krieg’ Depressionen«, sagte Andreas. »Ich habe auch wieder angefangen zu rauchen.«

Die Versicherung kann ihm den Schaden nicht ersetzen. Für einen derart alten Kiosk wird lediglich eine sogenannte Restwertversicherung angeboten. Basierend auf einem Zeitwert ausgehend vom Baujahr 1954, vom Prinzip her also wie bei einem Oldtimer, bloß halt dass es keinen Gebrauchtimbissbudenmarkt gibt. Die Polizei rät zur Anzeige gegen Unbekannt, klärt aber im gleichen Zug über die Chance einer Aufklärung dieses Verbrechens auf.

Warum macht jemand so etwas? Die Polizei ist sich sicher, dass es sich um einen erwachsenen Täter handelt. Im jugendlichen Leichtsinn oder im Suff hätte man allenfalls das neben dem Kiosk aufgestellte Sonnenzelt angezündet. Die Vorgehensweise am Easy Rider weist für die Fachleute auf planvolles Handeln hin. Jahrelange Erfahrung im Brandschatzen, wie es heißt.

Warum beschäftigen sich diese Menschen nicht mit etwas schönerem als mit Brandbeschleunigern und der Existenzgrundlage wildfremder Menschen? Endlich ist es Frühling geworden, der Easy Rider stand inmitten von Bäumen mit zartgrünen Blättern. Die Nacht war lau am Mittwoch, es gab viele Sterne zu sehen. Gar nicht weit von dort, auf dem Parkplatz der Jugendherberge blüht der Flieder nicht bloß in den zwei klassischen Fliederfarben. Dort gibt es auch zwei Büsche, die blühen in Weiß (und wenn man ein Messer benutzt, und die Zweige nicht abreißt, kann man sich getrost einen davon mit nach Hause nehmen, auch zwei, man tut einem Gewächs wie dem Flieder damit sogar einen Gefallen in der Blütezeit).

Auf der anderen Seite, am kleinen Platz zwischen Teutonenstraße und Alemannen, kenne ich einen Kastanienbaum, ich will fast behaupten, dass es der Einzige ist in dieser Gegend, der kirschfarbene Blüten hat. Und zwischen Lohengrinstraße und Walhalla wohnt einer, an seiner Klingel steht »Privatdetektiv«. Wo genau, das gebe ich natürlich nicht preis. Wir sind ja schließlich Kollegen auf eine Art.

Um die Ecke, nicht weit davon: ein Bildhauer. Sein Haus sieht nicht danach aus. Es ist ganz niedrig, aber so steht es auf seinem Schild, einem goldenen mit Patina, wie sich das bei einem Bildhauer gehört. Dass die Antifa ihm mit weißer Farbe ihr Flaggensymbol darunter hingesprüht hat, sollte wohl stutzig machen. Bei Gelegenheit schaue ich es nach.

Zum Trost dachte ich, wobei ich ja viel weniger eines Trostes bedürftig war als der geschädigte Wirt, könnte ich mir Holunderblütenpfannkuchen machen. Auf dem Weg zu der Stelle, wo dies Bahndammgemüse jetzt blüht, kam ich im Wald an dem sowohl tatsächlich auf schattiger Lichtung gelegenen als auch obskuren Gelände der DEVA vorbei – einem Schießplatz. Dort treffen sich unter anderem die Interessensgemeinschaft »Jagd und Hund«, einem Rudiment aus der Zeit, als es die Mauer noch gab und Schießen und Jagen eine von den Alliierten genehmigungspflichtige Ausnahmeerlaubnis war, aber eben auch der Polizeisportverein, sowie die sogenannten interessierten Laien und Hobbyschützen von nah und fern. Auf dem umzäunten Gelände kann man sich so einigermaßen frei bewegen, allein, es wird halt nicht so gern gesehen. Das Schießen selbst findet in den seltsamen Gebäuden statt, deren Bauweise wie insgesamt die Anlage selbst auch an eine Gesamtschule aus grauer Vorzeit erinnert. Und so ergibt sich unweigerlich der Eindruck, dass man hier auf dem menschenleeren Hof einer Waldschule umhergeht, während in deren Klassenzimmern gerade einer Amok läuft mit seinen Kumpels, weil es aus den Fluren und durch die geschlossenen Fenster andauernd in Salven knattert und knallt. Vor dem geöffneten Kofferraum eines Wagens standen dann auch drei Greise, aber keine goldenen, sondern solche mit Wutpotenzial, die eine dort aufgebahrte Langwaffe begutachteten. Das machte einen gefährlichen Eindruck auf mich, wirkte zur gleichen Zeit aber auch erheiternd, weil sie alle drei noch ihre Lärmschutzkopfhörer auf die Stirnen geklappt trugen. Von hinten also wie Micky Mäuse im uniform hellblauen Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Aber Micky Mouse ist ja auch böse.

Auf dem Gelände der DEVA werden übrigens untertags Waffen getestet. Wusste ich gar nicht. Da kann man mal sehen, wie wenig man von seinen Nachbarn weiß. Ich ging über den Grat heim, der hinter der Bahnbrücke durch das Dickicht führt, wo es die kleinste Bahnsiedlung gibt in der Gegend. Und kam dort gerade dazu, als ein Paar aus Frauen mit schwarzgefärbten Undercutfrisuren und mit Lederjacken an, ihre Emoschwester besuchten, die dort, vielleicht ironisch, in einem der Schrebergartenhäuschen am Fuße des Regionalexpressdammes wohnte anscheinend. Sie riefen »Guten Tag!«, es klang ironisch für mich. Und brachten einen Kuchen mit in einer Tupperkuchentrommel – auch das Ironie? Und auf dem Gartentisch, der noch von den Eltern war, stand eine Thermoskanne in übertrieben kaffeekannenhafter Form.

Trotzdem verspürte ich da ganz unironisch einen Neid oder Schmerz, dass ich nicht dazu eingeladen war, mit ihnen den Kaffee zu trinken und zwei Stücke Kuchen zu vertilgen. Selbst wenn dann die Gespräche eher irgendwie verlaufen wären als hochinteressant.

Aber gleichwie, dachte ich mit meinen Blüten, das Heimweh spürst Du in den Füßen. Dort bleibt es und so trägst Du es mit Dir herum.

Und: Alles lassen die Leute im Wald liegen, wirklich beinahe alles, der Eindruck wirkt nach, wenn man den Wald nach einiger Zeit wieder verlassen hat und durch lichtere Gefilde spaziert. Alles, außer Geld.