22.2.

Grundsätzlich hatte ich vorgehabt, Bücher zurückzubringen, die ich mir unter dem Decknamen Patrick Bateman ausgeliehen hatte. Doch beim Betreten der DDR-Kneipe ohne Namen fiel mir siedend heiß ein, dass ich ohne das Buch, das ich mir dort vor ein paar Wochen aus dem Regal rechts vom Tresen genommen hatte, erschienen war. Weil es Sonntag war, und weil ich ein Sonntagskind bin, stand eine männliche Person hinter dem Tresen, damals war es eine weibliche gewesen, und so durfte ich davon ausgehen, dass ich unbelangt bleiben würde, entspannte mich also etwas, erhob dann meine Stimme und rief eine Lokalrunde aus: »Ich zahle in bar«.

Vier Schnaps und vier Bier später, eigentlich aber noch währenddessen, rappelte sich der kleine schwarze Hund eines vaporisierenden Gastes auf, um mich zu umgarnen. Da erhob ich meine Stimme ein weiteres Mal und sagte: »Sitz!«

Die folgende Zeile wurde im Ostberliner Dialekt vorgetragen, der ja unter uns Linguisten als Soziolekt gilt, und den man nicht nachmachen kann. Mirna Funk könnte, ich aber bin ja aus Baden-Württemberg, kann das auch auswendig und fehlerfrei buchstabieren, der in Ost-Berlin Geborene aber sprach: »Das kann ich jetzt ja wohl kaum glauben! Ich traue meinen Augen nicht: Das hat er zuvor noch nie gemacht.«

- Tiere mögen mich, sagte ich.

- In all den Jahren, da wir nun schon eine Hund-und-Herr-Beziehung führen, hat er das noch nie gemacht, beteuerte die Sagengestalt aus einem meiner Romane über die Arbeitslosen.

- Kinder übrigens auch, erwiderte ich, um anschließend mit ähnlicher Geste den Wirt anzuweisen, die schlechte Luft aus den Gläsern meiner Genossen zu lassen und die Flasche »gleich hier« auf dem Tresen stehen zu lassen. Jetzt aber mal Tacheles: Was soll das in Sachsen?

Alle starrten den Hund an, der da noch unverändert als Ebenbild seiner selbst zu meinen Füßen saß und zu mir aufschaute. Schenkte ich ihm meine Aufmerksamkeit, legte er den Kopf, wie um bedächtig zu wirken, von links nach rechts und pochte dann flauschig morsend mit seinem Schwänzchen auf den Fußboden.

Okay, keine Meinung? Ich aber. Mir reicht es nämlich und ich will, dass der Staat eisenhart durchgreift. Ich will konkret, dass eine Armada von Hubschraubern am Horizont dieser ostdeutschen Kuhdörfer erscheint, wie die apokalyptischen Reiter mit Rotorengewalt, und aus denen sollen sich Sondereinsatzkommandos abseilen und jedem Otto, der dort rumgrölt und Flagge zeigen will, die Mündung des Sturmgewehrs an die Stirn drücken. Diskutieren ist schön, appellieren auch, aber manchmal, und damit meine ich jetzt, also seit Sonntagnachmittag, hilft nur noch eins: Gewalt. Und zwar richtig. Dafür haben wir ausgebildete Leute, die beherrschen das Töten als Handwerk. Die können ihren Drohungen Nachdruck verleihen. Die haben Tellerminen, Nahkampftechnik und Sturmgewehre. Niemand traut sich, die nach ihrem Waffenschein zu fragen. Mit Tazern oder Pflastersteinen geben die sich gar nicht erst ab. Den will ich sehen, der dann noch einen seiner dummen, stumpfen, notgeilen Sprüche macht, wenn er sich einem Bataillon schwarz gekleideter Kevlarjungs gegenüber sieht. Dann nässt er nämlich erst mal seine dämlichen Camouflagehosen ein vor lauter Nationalstolz, wenn ihm unser Staat auf die harte Tour erklärt, wer hier wem und was zu sagen hat.

-Das finde ich jetzt aber etwas primitiv, was du da von dir gibst, sagte der Wirt.

-Ich auch, sagte der neben mir. Das sind doch Stammtischparolen.

-Wo sind wir denn hier, rief die einzige Frau, die leider schon vollkommen besoffen war.

Also packte ich den Singular aus.

Und sagte: Alter, ich steh‘ mal nun auf Jazz und Funk, bei Wagner muss ich kotzen und bei Mozart werd‘ ich krank! Aber Spaß beiseite: Hier kommt Alex. Oder wie die Muse zu sagen, ja, pflegt, ich mag’s nämlich lieber gepflegt, also die Muse sagt: Wer mir mein Dach vergiftet, dem zünde ich die Wasserquelle an. Und diese hohlen Fritten aus Sachsen, die vergiften mein Dach, unser Dach, das müssen die büßen. Die einzige Sprache, die bei denen noch ankommt, ist rohe Gewalt. Ohne leider. Die tun mir null leid. Und zwar pars pro toto, denn Verallgemeinern kann ich auch. Und zwar, wie alles, auch noch viel besser. I put the gemein in Verallgemeinerung und ich will, dass der Staat jetzt in ganz Sachsen durchgreift. Mit der Worfschaufel soll er zuschlagen, und diesen Hobbyrevoluzzern die Fresse polieren, bis die dort einstimmig das Grundgesetz singen können, auf das sie sich dummdreist berufen, obwohl sie es noch gar nie gelesen haben. Noch nicht einmal vom Hörensagen her kennen die überhaupt ihre Rechte, und wie Dr. Dr. Erlinger sagt, hat jeder, der behauptet, dies oder das sei doch bloß sein gutes Recht, eben immer und original genau gar kein Recht, das zu tun, was er sich einbildet, tun zu dürfen. Ist doch klar wie Kloßbrühe. Stimmt’s oder habe ich recht?

- Recht natürlich, sagte mein Nebensitzer. Der Wirt nickte auch. Der Hund - ach, lassen wir das lieber.

- Ich muß jetzt leider los, weil ich a) die Herdplatte angelassen hab, b) zwei Hummer daheim, um die ich mich kümmern muss und drittens habe ich nicht als einziger zu viele Filme geschaut. Wir alle haben mittlerweile viel zu viele Filme geschaut, in denen exakt das passiert, was der Staat sich jetzt nicht traut, aber besser mal machen sollte. Ist doch kein Wunder, dass sich diese asozialen Penner in Sachsen so aufführen, weil sie sich im guten Recht wähnen, dass ihr unheiliges Treiben ohne Folgen bleiben wird. Die haben alle diese Filme gesehen, in denen Leuten wie ihnen aus dem Hubschrauber ganz harte Suppe eingeschenkt wird. Wenn das nun endlich bitte auch in der Realität genau so geschehen würde, hätte das einen heilsamen Effekt. Und zwar blitzartig. Das sind doch alles Memmen, die haben doch keine Chance im Battle. Ist so. Ohne leider. Ich würde es ja machen, aber es ist von vorneherein sinnlos, von daher spare ich mir die Liebesmühe, denen The Portage To San Cristobal of A.H. vorzulesen. Noch nicht einmal über Megaphon brächte das irgendwas. Woody Allen sagt das ganz richtig in Manhattan: Eine beißende Glosse über die Nazis in Kentucky ist schön und gut, aber mit Baseballschlägern und Springerstiefeln nach Kentucky und die Nazis verprügeln, macht halt einfach mehr Eindruck auf die Nazis.

- Na, dann mach doch, sagte mein Nebensitzer. Du kannst da ja hinfahren nach Sachsen und dich mit denen prügeln.

- Ich kann mich nicht prügeln, sagte ich. Aber dafür kann ich bügeln.

- Ist noch was drin, rief mir der Wirt hinterher und meinte die Flasche.

- Könnt ihr behalten, sagte ich, schenke ich euch.