22.2.2020

Aufgewacht war ich am Donnerstag um fünf Uhr in der Früh, noch vor Sonnenaufgang, als ob irgendwas wäre. War aber nichts. Bis auf die Vögel halt, deren Improvisation aus dem Dunkel durch die Fensterscheibe hindurch zu mir getragen ward. Glasklar: Rotkehlchen an der Piccolissimoflöte und «Blackbird» Turdus merula — ineinander gezwirbelt, einander umtändelnd, als spielten sie mit-, und nicht gegeneinander, wie es in Wirklichkeit war.

Zum ersten Mal seit vielen Wochen war ich alleine in der Wohnung aufgewacht, Friederike verreist, da dachte ich mir, um die Exotik der Situation noch zu steigern, eine Schüssel Jjapaguri aufzubrühen — jene Mischung zweier unterschiedlich konzipierter Minutennudeltopfgerichte aus Korea, die derzeit durch den Film Parasite der Welt bekannt gemacht wird, in dem sie eine Rolle spielt; diese Nudelneuigkeit, die zu Gattung Frankensnacks gehört, ist aber auch das einzig bemerkenswerte an diesem Film.  

Im Liebighaus schaute ich mir die farbrestaurierten Statuen aus der Antike an. Vor dem Besuch dieser Ausstellung war ich neulich am Rande der Lesung im Wasserschlösschen gewarnt worden von einer Dame, die meinte, dass mir das «für immer» die Freude an der Antike verleiden würde, weil die Bilder der weissen Statuen «so tief in uns drin» wären, dass wir den Schock der schlagartig Bunten nicht verkraften könnten. Dazu sagte ich freilich, was ich in solchen Situationen immer sage. Bald ist ja auch Ostern (Das sagte ich natürlich nicht!) 

Die Statuen gefielen mir sehr. Besonders die eine, von einem männlichen Gott, dessen Brustbild auch auf den Plakaten abgebildet ist: Er trägt einen ultramarinblauen Dornenkreis auf der Brust. An der Statue ist zudem das auf den Plakaten ungezeigte Schambein mit einer scharfkantigen Grafik verziert — ebenfalls Ultramarin auf Lyoner Rosé. Wie von einem zeitgenössischen Artist tättowiert. In meinem Museum hätte ich diese herrlichen Statuen in verkleinerter Form im Museumsshop kaufen können. In Wirklichkeit gab es die dort leider nicht. Noch nicht einmal die antike Intimfrisur als Fragment. 

Kurios, dass ich ziemlich genau einen Zeitpunkt im siebzehnten Jahrhundert benennen kann, ab dem westliche Bildhauerei für mich uninteressant geworden ist; ab dem dann Malerei ihre Aufgabe übernimmt. Bis auf weiteres (Brancusi und Judd). Auf meinem Weg ins Café Mozart überquerte ich den Römer, wo vor dem Rathaus ein paar frierende Närrinnen mit Narrenkappen auf sich gegenseitig Sekt einschenkten. Und im Mozart selbst waren die Wände zum ersten Mal, seitdem ich das Café kenne, mit hochglänzend bunten Clownsmasken aus Kunststoff dekoriert. An den verspiegelten Säulen waren verschiedenfarbige Luftballons mit Tesafilmstreifen befestigt worden. Und dazwischen saßen die gleichen Leute wie immer und unterhielten sich in der für das Mozart typischen Lautstärke also dergestalt, dass die perkussiven Impulse von Tassen und Kuchengabeln auf Tellern noch gut zur Geltung kamen. 

Auf dem Heimweg, da war es längst wieder dunkel geworden, kam ich vor der Paulskirche an der tausendköpfigen Mahnwache vorbei, es sprach der Bürgermeister ins Mikrophon «Wir sind die Stadt der 120 Nationen.»

An der Bockenheimer Warte, beim Palmengarten, das sah ich erst heute: wächst ein Kirschbaum direkt neben dem Warmluftschacht der darunterliegenden U-Bahn-Station. Und an den Zweigen, die über das Gitter ragen, blüht es dicht an dicht.