23.2.

Gemütlicher Nachmittag mit Kaffeeschorle und schokoladigem Kuchen. Der Regen pladdert, stellenweise prasseln die Tropfen gegen die große Scheibe, hinter der, nun schon mit Fenstern drin, der Neubau entsteht (an das Haus, das dort ursprünglich einmal gestanden hatte, kann ich mich nicht mehr erinnern; es wird eines aus der Nachkriegszeit gewesen sein – kein Kaiser’s!, soviel weiß ich – ein Gebäude aus der Zeit zwischen den Kriegen, oder gar aus der sogenannten Gründerzeit würde saniert, notfalls entkernt, niemals abgerissen. Selbst dann nicht, wenn der Schwamm ihm schon tief im Gebälk Metastasen gebildet hätte. Warum ist das so? Warum werden die alten Häuser in Ehren gehalten und geradezu verehrt? Als auf dem Land groß Werdender träumte ich damals freilich von hohen Zimmerdecken, die, knallweiß gestrichen, mit Stuck verziert sein würden, wie auf dem Land höchstens mal ein Stück Torte Rhabarberbaiser. Ab und an war ich bei befreundeten Kindern in Stuttgart zu Besuch, bei denen fuhr die Straßenbahn am Fenster vorbei und die Zimmerdecke in deren Wohnung war derart weit droben, dass sie die Modelleisenbahnanlage auf ihrer Platte montiert an einer Seilzugmimik bis dorthin hinauf ziehen konnten, um das Seil dann an einem Karabiner in der Wand einzuhaken. Dann stand der Platz auf dem Boden für andere Aktivitäten zur Verfügung. Für das Draufliegen und Musikanhören beispielsweise. Das kam dann auch immer öfter vor).

Schon bei der Hausschwammfantasie geriet ich ins Schwärmen, auf Abwegen kam in mir der Appetit nach etwas Salzigem und leicht Verkohlten auf. Das lag am Regen, ich träumte vom Rom um diese Jahreszeit, wo es genau so regnen kann. Ich hatte jetzt Lust auf Pajata. Es müsste auch gar nicht in einem Lokal sein. Pajata im Stehen, umweht von den bläulichen Schwaden des Grills, auf dessen Rost die Spieße dicht nebeneinander liegen. Rosig, braun und schwarz verkohlt. Der Stand ist mit einer hellen Plane überspannt, von deren Rand sich die Tropfen abseilen. Senf gibt es auch.

Gehört leider nicht zum Repertoire der Streetfood-Aktivisten. Neulich, als ich an dem ersten Frühlingstag auf der Berlinale den Film über Berlin im Winter anschaute, fand ich nach der Vorstellung in einer Seitengasse des Marlene-Dietrich-Platzes ein paar ihrer Wägen (also nicht Dietrich, sondern Streetfood). Und über die Gasse war ein Schild geschraubt, auf dem stand in einer Las-Vegas-Schrift »Streetfood«, was ich in dem Fall auch sinnvoll fand und finde, weil die Straßen am Potsdamer Platz sind ja von ihrer sozialen Funktion her keine Straßen und werden auch von den Stadtbewohnern nicht als solche gelesen. Der Potsdamer Platz im Ganzen besitzt in der Stadt die Funktion einer Freiluftmall, ist also Sonderfläche und eine Sonderform des Marketing (von der mir jetzt bloß Streetfood einfallen will, aber da kommen noch andere!) muss hier ultrakonservativ, also mit Las-Vegas-Typo und Schild ausgewiesen werden, weil die Strategie des Beiläufigen*, deren Streetfood sich ja ansonsten bedient, funktioniert auf unstraßenhaften Straßen, wie beispielsweise in den Seitengassen des Potsdamer Platzes, nicht.

Aber gerade da wäre doch Pajata toll. Dafür, für Pajata, wäre ich gestern sogar durch den Regen bis an den Potsdamer Platz gelaufen. Den ganzen Weg gerannt vielleicht nicht, aber immerhin. Und eigentlich funktioniert die Strategie des Beiläufigen ja nur so und eben weil dann ungewöhnliche und exotische Grillspezialitäten verkauft werden; servierte jeder aus seinem Streetfoodtruck heraus lediglich Würste, Fritten, Frikadellen und Schaschlik, würden sich die Anwohner und Passanten ja auch nicht mehr freuen, sondern ganz im Gegenteil eine Beschwerde einlegen wegen zuvieler Drei Damen vom Grill und der Wiederkehr des Immergleichen.

*Man stellt einen schwarzlackierten Bus auf, aus dem heraus drei Expats eine fremdländische Spezialität vom Grill servieren. In einer Straße mit sozialer Funktion wird das von den Anwohnern und Passanten als Bereicherung gelesen. Wie ein Shitsicle, der eines Morgens im Vorgarten liegt.