23.3.

Die Neugierde lässt sich nicht entsichern wie eine Waffe. Ich treffe oft Menschen, die in sich keine Frage spüren. Sie sind fertig mit der Welt. Ich kann mich für alles Mögliche interessieren, begeistern oft auch. Ich lerne gern. Es hört nie auf, hoffentlich.

Mit einem Stift schrieb ich ein paar Gedanken nieder. Es war nicht irgendein Stift, es war der Stift. Ich hatte ihn vom Schreibtisch der Schweizer genommen. Zeitweilig ausgeliehen. Es ist der Stift, mit dem sie ihre Gedanken auf die Ausdrucke von Fotos schreiben, die sie von über den Fußboden im Flur ausgebreiteten Ausdrucken von Fotos gemacht haben. Dieser Vorgang nennt sich Layout.

Ich war früh im Bikinihaus eingetroffen, um mit einer Origamikünstlerin zu sprechen. Ihre Installation hing dort von der Decke des Kaufhauses, das sich laut Eigenwerbung als Concept Mall versteht. Kuratiert selbstredenderweise. Das geht, also das kuratorielle Selbstverständnis der Mieter jeder Verkaufsfläche dort (#ShopInShop), bin ins Detail. Keiner der in den Schaufenstern ausgestellten Gegenstände (Tee, Schal, Lautsprecher, Kaktus) wirkt für den alltäglichen Gebrauch bestimmt. Eine Ansammlung von Museumsshops, ohne ein zugehöriges Museum. Die Ansammlung der Museumsshops ist das Museum.

Hinter dem breiten Fenster im Erdgeschoss ist ein Ausschnitt des direkt angrenzenden Zoos zu sehen. Auf der Fensterbank sind bunte Kissen ausgelegt, hier sitzen schon einige Menschen und betrachten die Tiere, die im Nieselregen auf einem Felsen umherklettern. Ich hatte vergessen, wie abstoßend hässlich Paviane sind.

Plötzlich schrie jemand laut, eine Männerstimme, dann gab es einen Knall. Auf der Galerie war jemand im Laufschritt zu sehen, der in ein Funkgerät sprach. Dann noch jemand. Sie eilten hin und her. Unter den Pavianbeobachtern ging jetzt die Frage um, was dort oben passiert sein könnte. Keiner bewegte sich. Ich fragte mich, ob sich die Scheibe zum Zoo hin einschlagen ließe, um aus dem Gebäude zu fliehen, falls da nun gleich jemand den Gang entlang käme, um alle hier zu erschießen. Von der Fensterbank aus durch den breiten Gang alleine zum Ausgang zu laufen, erschien mir zu gefahrvoll. Die Scheibe einschmeißen – mit was? Mit einem Stuhl aus der Kaffeebar? Mit meinem iPad? Die Glasscheibe selbst wurde undurchdringlich massiv.

Die Männer vom Wachpersonal mit ihren Funkgeräten erschienen dann auch bald im Erdgeschoss, um Entwarnung zu geben: nur ein Obdachloser. Glasscheibe jetzt wieder klar und freundlich wie zuvor. Auf der Fensterbank nickte man sich zu, »das macht Sinn.«

Nach Mittag schaute ich mir im Store des Soho House die neue Kaktusrange an, einige Exemplare sehr schön, aber alle auch sehr groß. Der Trend geht zum Monolithen. Ich traf Niki Pauls, die mir auf ihrem iPhone eine Aufnahme ihres eigenen Kaktus zeigte, den sie sich zuhause hält, und der aber seit kurzem erkrankt wirkt. Von dem, was ich auf dem kristallklaren Bild erkennen konnte, handelt es sich um einen gehirnförmig aus einem Tontopf wuchernden Sukkulenten in einem schönen, dunklen Grün, der regelmäßig abgestaubt wurde und wird. Ich riet ihr, den schwärzlich verfaulenden Ausläufer abzuschneiden, bevor der infizierte Teil ihr noch den gesamten Organismus zerstört. Den Rest der Zeit bis zum Nachmittag verbrachte ich dann mit dem tschechischen Fotomodell Karolína Kurkovà, die zum Spaghettiessen eingeladen hatte. Sie kochte, die Schreibenden durften ihr dabei Fragen stellen. Als ich sie um eine Unterschrift bat, weil die Schweizer die für das Layout benötigten, drehte sie den Stift aller Stifte hin und her in ihrer Hand. Sie zog den Deckel ab, betrachtete die seltsam geformte Filzspitze wieder und wieder, wog ihn dann mit dieser Spitze über dem Zeichenkarton in der Schwebe gehalten in ihrer Hand. Obwohl sie schon seit Ewigkeiten in New York lebt, war an ihrer Fingerstellung noch immer die europäische Herkunft abzulesen. Amerikaner packen ihre Stifte im Pfötchengriff.

»Ich liebe diesen Stift«, sagte Frau Kurkovà. Und betrachtete ihr eigenes Schriftbild. Ich schenkte ihn ihr. Auch weil ich wusste, dass die Schweizer sich diese Stifte in rauen Massen mitbringen für ihren Eigenbedarf. Das sagte ich ihr freilich nicht. Sie wirkte sehr glücklich und reichte den Stift weiter an ihren Assistenten.

Als ich in die Redaktion zurückkam, waren die Schweizer unter anderem damit beschäftigt, einen gigantischen Barren Toblerone mit einem Messer zu zerstückeln. Die Schokolade wiegt viereinhalb Kilo und wird in einem über einen Meter langen Pappkarton verkauft, der sogar einen Tragegriff hat an der Oberseite, aber ansonsten so golden und, ebenfalls tobleronetypisch, dreikantig geformt ist. Sie lachten. Sie freuten sich über dieses groteske Souvenir aus der Schweiz, das sie am Flughafen Kloten in Zürich vor ihrer Abreise nach Deutschland entdeckt hatten. Ich dachte an den Stift. Ob sie wohl jemals wirklich damit schreiben wird?

Heute früh dann zum ersten Mal wieder das Eichhörnchen gesehen.