23.5.

Menschen am Sonntag (Ein Film ohne Schauspieler), gedreht im Sommer 1929 am Wannsee und um den Bahnhof Zoo herum. Im Original aus 2014 Metern bestehend, sind nach dem zweiten Weltkrieg noch 1615 Meter erhalten. Mithilfe von Kopien aus belgischen und holländischen Beständen wird eine restaurierte Fassung hergestellt, die 1839 Meter lang ist — meldet der Vorspann auf Youtube. Ich finde es kurios, dass es in der Filmwissenschaft anscheinend stark auch um die physische Länge eines Filmes geht. Zeitliche Länge, gefühlte von mir aus auch, das könnte ich eher als filmrelevantes Kriterium nachvollziehen.

Die dunkelhaarige Frau, um die es geht, ist vermutlich bereits tot. Jedenfalls sah sie 1929 moderner aus als die meisten Frauen heute. Nicht nur von ihrer schönen Frisur her, auch von ihrem Gesichtsausdruck, von ihrer Mimik her extrem cool. Die Frisuren der mitspielenden Männer hingegen harren noch ihres Revivals. Die Männerfrisurenmode pausiert ja derzeit in den vierziger Jahren, bewegt sich wahrscheinlich weiterhin beständig auf den Ursprung des zwanzigsten Jahrhunderts zu. Next stop werden also diese niedlichen Glanzköpfe sein. Gestern, während ich den Film auf einem Schattenplatz vor dem Café hier schaute, betrat dort ein Paar in neuesten Motorradanzügen und Stiefeln die Szene: ganz in Schwarz, mit asymetrischen Verschlussführungen, roten Kevlarpads im Nackenbereich, Helme von HR Giger. Dann kamen australische Radelfreaks in diesen Hotpants aus schwarzem Spandex und diesen pumpsartigen Schuhen, in denen man kaum gehen, nur so transenhaft stakseln kann, weil die an der Spitze so einen Verschluss anmontiert haben, mit dem man sich in die Pedale des Fahrrades einklinkt. Ich drückte kurz Pause und fragte einen der Herumstaksenden: »Sorry, but what happens in the unlikely event of an accident and you’d fall off your bike

»You don’t fall off your bike anymore«, sagte er. Er war in etwa siebzig Jahre alt. »You’ll just hurt yourself really bad

In Menschen am Sonntag (Ein Film ohne Schauspieler) sind leider kaum Geräte zu sehen (wahrscheinlich gab’s damals einfach noch kaum welche. In der Gartenlaube sind ja damals hauptsächlich Annoncen für Radfahrerpistolen und für diese Regale zu sehen, auf denen man seinen kleinen Brockhaus oder Meyers präsentieren konnte), dafür aber eine Art Wasserdraisine, auf dem die beiden Paare einen Ausflug über den Wannsee machen. Man sieht hier und da ein Haus und sogar das Strandbad in einer früheren Form, alles gibt es immer noch und es sieht auch noch immer so ähnlich aus (sogar das Gebüsch und der Sand), aber die Gegend um den Bahnhof Zoologischer Garten herum hat sich doch stark verändert. Die Ansagestimme in der S-Bahn klingt dann immer besonders stark verschnupft und ich höre jedesmal »Urologischer Garten« (und finde es auch jedes Mal wieder lustig; seit schon sehr vielen Jahren, es nützt sich nicht ab).

Menschen am Sonntag ist ja glücklicherweise ein Stummfilm, denn insbesondere diesen mitspielenden Menschen mit der Glanzkopffrisur und dem Genießergesicht möchte ich auf gar keinen Fall etwas sagen hören müssen. Handlung ist auch eher undurchschaubar. Es geht um eine Landpartie und die Fahrt mit der Wasserdraisine und dann treibt die blonde Frau, vielleicht ist aber auch die andere schuld, ein Spiel um die Gunst der Männer. Trotzdem ein schöner Film. Gerade wenn man den Ton, die Bilder sind mit 3,1 Megabyte Musik unterlegt, ganz ausstellt.

Dazu passt Vaporwave.