24.10.

Über dem Frankfurter Hauptbahnhof kreist ein Strudel von Krähen. Ein Hochhaus, der Turm von Price Waterhouse Cooper steckt ab der Hälfte im Nebel, man sieht seine Spitze nicht. Dass der sichtbare Teil in etwa der Hälfte des Gebäudes entspricht, weiß ich aus Erfahrung. Eigentlich sieht es momentan so aus, als könnte es dort in der vom Nebel verhüllten Zone noch ewig nach oben hinaus weitergehen.

Beinahe eine volle Woche auf Reisen geht mit dieser Heimfahrt zuende. Mal war ich in Flugzeugen, mal in Zügen, dazwischen in Bussen und U-Bahnwaggons, auch wenige Male auf dem Rücksitz oder, wie es einst so schön hieß: im Fond des einen oder anderen Taxis unterwegs. Auf einem Fahrrad hingegen oder gar selbst am Steuer? Kein einziges Mal. Dafür aber viel zu Fuß. Gemessen, präzise, habe ich die Strecken zwar nicht, aber innerlich und von daher irgendwie schon (anhand, beziehungsweise -fuß des Gefühles, wenn ich spät abends dann endlich lag und dem lauschte, empfindungsmäßig, was meine Sohlen noch von sich gaben an Widerhall vom über Asphalt und Teppich, Parkett, Kopfstein und federnden Brückenbelägen, Stufen aus gerilltem Holz und solchen aus glitschig abgetretenen Platten zurückgelegten des Tages.)

Allmählich kam dann, so in etwa ab dem Sonntagmorgen, auch der Widerhall des Erlebten zu Wort, mischte sich ein und stellte so Verbindungen her zwischen dem, was ich gerade sah und hörte, und dem, was ich vor drei, zwei Tagen oder gestern erst gesehen und gehört hatte. Angeblich – zumindest war mir danach und wird von daher wohl auch so gewesen sein. 

Als wir im Zelt an der Rennbahn von Frauenfeld saßen, ein Herrenchor stimmte die Thurgauer Hymne an und einen Tisch weiter war der Bundesratspräsident der Schweiz aufgestanden, um diesem Lied seine Ehre zu erbieten, da dachte ich im Stillen an den vorangegangenen Samstagabend in Frankfurt, als wir im Bahnhofsviertel zu Gast waren bei den Brüdern Arbogast und bei Yossi Elad, der dort in einem improvisierten Restaurant im ersten Stock über der Münchner Straße für etwa hundert Menschen gekocht hatte (man bekam ganz viele kleine Tonschälchen hintereinander serviert, alles war koscher zubereitet, das schmeckt man aber nicht heraus), und schon nach dem zweiten Schälchen sprangen immer wieder Männer auf und dann auch ihre Frauen, um zu der Musik zu tanzen, zu jubeln, am Schluss wurden Teller zerschmissen, ganz feierlich. Ein herrlicher Abend mit vielen Umarmungen und ganz und gar nicht ein Restaurantbesuch, eher, viel eher, die Vereinnahmung eines Restaurants durch die Gäste und umgekehrt (in beiderseitigem Einverständnis, wollüstig, wodurch es schön ward.)

Dies eingedenk, dann die gedämpfte Feierlichkeit der Thurgauer bei ihrem Rennfest, wo es Butterspätzli gab mit einem ausgezeichneten Rindsgulasch und einem beinahe noch besseren Kotelett. Sie haben ja keine Adeligen dort in der Schweiz, offiziell, aber durch das Geld und die Familiengeschichten hat sich halt dann doch so etwas ähnliches herausgebildet (unausgesprochen). Den Bundesratspräsidenten hätte man da nicht unterscheiden können von seiner Kleidung her oder von der Art seines Auftretens, wenn der nicht in Begleitung eines sogenannten Weibis erschienen wäre. Also einer ziemlich kräftig gebauten Dame in einer grünlichen Uniform mit reich verzierten Epauletten, die auf dem von den blonden Locken umflorten Haupt einen dieser schwarzen Hüte trug, wie man ihn von der Form her nur von Napoleon kennt. Also von Zeichnungen und Stichen und Gemälden. Definitiv ein ultraklassisches Modell. Die oder das Weibi freilich unbewaffnet. Die pure Repräsentation. Comme des japonais

Abends dann lange Gespräche mit unserer Gastgeberin Simona über eben diese Unterschiede: kulturell, somit gesellschaftspolitisch, zwischen Deutschen und Schweizern. Im Prinzip scheint es unvereinbar. Trotz der sogenannten Nachbarschaft von den geografischen Landesgrenzen her, sind wir ziemlich sehr weit voneinander entfernt.

Zwei verschiedene Paar Stiefel, wie mein Vater zu sagen pflegt. Das Pflegen ist wichtig, denn er denkt dabei mitnichten an die Stiefelpaare zweier Armeen, die aufeinander zuzumarschieren befohlen sind, sondern an Stiefel aus unterschiedlichem Material, Leder mit unterschiedlichen Ansprüchen, für die er jeweils geeignete Bürsten heraussuchen muss aus seinem Arsenal.