25.11.

Warum Tulpen? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldet, dass Jeff Koons der Stadt Paris eine Skulptur zum Geschenk gemacht hat. Das Standbild einer Faust aus poliertem Stahl, die einen Bund Tulpen emporhält, soll nach seiner Fertigstellung in den Hallen der Arnold AG im Taunus bis auf eine Höhe von 10 Metern und 36 Zentimetern vor dem Palais de Tokyo aufragen. Gedacht ist das Ganze als Mahnmal für die Opfer der Terroranschläge des 13. Novembers 2015 in Paris. Angeblich, so stand es in der Zeitung, bezieht sich Jeff Koons mit seinem Geschenk auf die Schenkung der Freiheitsstatue durch das französische Volk an die Vereinigten Staaten von Amerika.

Es gibt Menschen, die, aus ähnlich falschen Gründen wie auch im Falle Andy Warhols, die Kunstwerke von Jeff Koons für belanglos halten. Warum Tulpen fragt man sich dann noch am ehesten. Vermutlich weil es ein Geschenk ist, ein sehr wertvolles noch dazu. Hübsch ausschauen tut es ja. Immerhin. Aber Tulpen als Mahnmal – sind die nicht zu wenig zeichenhaft, mahnen sie unmissverständlich genug? Beziehungsweise: Hat dieses Kunstwerk, abgesehen von seiner Widmung, denn überhaupt etwas mit dem Anlass zur Mahnung zu tun oder handelt es sich um ein Geschenk, ein sehr wertvolles zwar, aus einer Art Geschenkeschublade des Künstlers Jeff Koons? Braucht ein Mahnmal nicht viel mehr Krassheit, mehr Aufdringlichkeit, muss oder soll es nicht abstoßend und so hässlich wie nur möglich sein, schartig und spitz, um als Dorn im Auge oder im Fleisch die Wunde offen halten zu können? Anders als im Falle des angeblichen Weihnachtsbaumes von Paul McCarthy im Hof des Louvre sollten die Tulpen keinen öffentlichen Anstoß erregen dürfen. Und das von diesem Künstler, der einst Ilona’s Asshole schuf und dessen Ausstellung Made in Heaven in der kurz zuvor eingeweihten Stuttgarter Staatsgalerie von den Evangelischen Landfrauen gestürmt ward. Noch nicht einmal im Lexicon der Blumensprache, verfasst zu einer Zeit, da es Fleurop noch nicht gab, steht Verfängliches über die Tulpe drin (»Rote Tulpe = Symbol ewig währender Liebe«).

Fleur de Lys, die französische Symbolblume, ist mit den Tulpen entfernt verwandt. Auch soll der Name der Tulpe vom alten Wort für den Turban abstammen, der zu dieser Zeit des Osmanischen Reiches noch vor allem in rot getragen wurde; rot wie die Urtulpe, bevor durch Kreuzungen und Nachzüchtungen die große Vielfalt an Farb- und Formvarianten bei den Tulpen hervorgebracht wurden. Mit Tulpen, genauer: mit Tulpenzwiebeln wurde ja auch zum ersten Mal in der neueren Finanzgeschichte spekuliert. Infolge der dabei entfachten Tulpengier kam es damals am Ende des Goldenen Zeitalters zu einem ersten Zusammenbruch eines durch wilde Spekulation aufgetriebenen Wirtschaftssystems. Helene Nostitz wiederum berichtet in ihren Notizen aus dem Alten Europa noch aus jener Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als Schloss Derneburg bei Hannover ihrer Familie als Wohnsitz gedient hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg zog dort ein mit Tulpenzwiebeln Handelnder ein, der die großen und zu jener Zeit noch schwer heizbaren Räume des von einem Skulpturenpark umgebenen Anwesens nutzbar machen konnte, indem er dort seine Zwiebeln lagerte. Das Unternehmen ging in Folge der durch die Holländer erfundenen Discountblumenindustrie ein, Rache der Tulpen, 1975 bezieht dann der Maler Georg Baselitz das Gemäuer. 1981 entsteht hier sein wenig bekanntes Gemälde Tulpen. Mit dem Auszug Georg Baselitzens aus Schloss Derneburg verliert der Ort an Bedeutung.

Das schöne Lied von den Tulpen aus Amsterdam wird unter Holländern zu gewissen Gelegenheiten, bevorzugt auf Campingplätzen, mit einem abgeänderten Text laut gesungen. Der Refrain erzählt dann von Bomben auf Rotterdam. Und gemeinsam mit den Zeltnachbarn aus Deutschland wird damit dem Angriff der Deutschen Luftwaffe am 14. Mai 1940 gedacht, bei dem in wenigen Stunden die Altstadt von Rotterdam zerstört wurde. Als Wahrzeichen Rotterdams gilt heute Gabba-Techno, insbesondere Alles naar de Klote von Euromasters aus dem Jahr 1992.

Jeff Koons lässt in Friedrichstadt ja auch stählerne Hasen herstellen, Ballonpudel, Herzen mit Schleifen dran. Es wäre ja sogar denkbar gewesen, dass er für sein Geschenk an das französische Volk (das Palais de Tokyo ist ein staatliches Museum) etwas ganz neues, eine einzigartige Skulptur sich ausdenkt. So aber stehen dort zukünftig spiegelnde Tulpen und eine menschliche Hand. Und dabei kann sich jeder von egal woher erinnert fühlen, woran auch immer er will (oder muss). Ich muss bei Tulpen, auch bei denen von Koons, immer an Derneburg denken, wo ich einmal war, um mir die Pyramide dort im Park anzusehen. Und bei Derneburg denke ich an Helene Nostiz und dies fabelhafte Buch, speziell an diese Anekdote aus dem späten Lebensabschnitt ihres Großvaters, des Fürsten Georg Münster von Derneburg: »Seine stärkste Antipathie galt wohl jeder Sentimentalität. Vielleicht liegt darin eine Quelle jeder wahren Kraft. Es ist, als ob ein geheimnisvolles Gesetz jede losgelassene Bewegung, ohne Zusammenfassung, von vorneherein zum Tode verurteilte. Ich habe nur ein- oder zweimal eine Träne im Auge meines Großvaters glänzen sehen. Das letzte Mal bei unserem Abschied, der wie eine Vorahnung seines Todes war, in seinem achtzigsten Lebensjahr in Hannover. Da brauchte er auch menschliche Worte, wie er sie sonst nur selten fand: der Abschied tue ihm weh, und ich sei einer der wenigen Menschen, die er immer um sich haben möchte. Es schnitt mir ins Herz, denn solche seltenen Äußerungen haben ein großes Gewicht und einen unvergesslichen Klang.
Am tiefsten erschüttert haben ihn einst der Tod seiner zweiten Frau, von dem meine Mutter folgendes Merkwürdiges erzählte: Sie hatten morgens einen Teich ausgefischt. Zurückgekehrt, setzte sich mein Großvater an seinen Schreibtisch. Da trat Lady Harriet plötzlich ruhig ins Zimmer und sagte ganz gefasst: ›Good bye, George, I am dying‹, setzte sich auf einen Stuhl und starb, wie sie gelebt hatte, ohne jegliche Sentimentalität.«