25.8.

»This is the cat who’s not on the list, playing jazz in the office of its therapist« — Ich lebe jetzt schon über ein Jahr mit diesem literarischen Ohrwurm, einst von Clemens J. Setz auf Twitter verfasst, als er von seiner Nicht-Nominierung für den Deutschen Buchpreis erfahren hatte (im Hintergrund war ein Siebdruck von Andy Warhol zu sehen, Siegfried Unseld abbildend).

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre war das Buch jenes Jahres für mich (und nicht nur für mich!!!). Es ist es bis heute geblieben. Ich lehne Preise und Wettbewerbe grundsätzlich ab, das hat vermutlich mit meinen mangelnden Erfolgen im Sportunterricht zu tun (es war sogar so, dass ich beinahe durchs Abitur geflogen wäre, aufgrund von »Leistungsverweigerung« und wegen Sport!!!), aber ich weiß schon, dass es Menschen gibt, die das gleiche tun und vorhaben wie ich und die sich im Innersten getroffen fühlen, wenn ihre Bemühungen dann nicht prämiert werden wie es sich gehört.

Aber gleichwie: Ich habe ganz andere Probleme. Vor allem: Wie sollte ich meine Zeit verbringen, wenn ich einmal zwei Tage nichts zu tun hab. Nachdem ich megalang geschlafen hatte, wurde es bald schon derart warm – es war mir prophezeit worden –, dass ich es in meinem Bett selbst ohne Decke nicht mehr aushalten konnte.

Also essen. Das orientalische Frühstück hatte mich offenbar auf den Geschmack gebracht. Und ich brach auf zur Mutter Fourage, um dort diese Zeitung zu lesen, aber eigentlich vor allem auch deshalb, um dort die Öffnungszeit des Grünen Baums abzuwarten (der ja, Schwäbisch wie es dort zugeht, keine Frühstücksdienste anbietet).

Das wirkt jetzt müßig, ich hatte auch ein latent schlechtes Gewissen, aber andererseits kann ich keiner und keinem der zahlreichen in Berlin so unendlich hart und endlos schuftenden Redakteure, die sich in Festanstellung befinden, ernstlich raten, auch nur zwanzig Meter in meinen Schuhen (Doc Martens) zu gehen. Es ist halt schon etwas anderes, wenn man irgendwo Mittagessen geht ensemble; wenn man jemanden next door fragen kann, wie er das findet, oder wenn man, wie ich und ein paar andere: das stets und immer mit sich alleine ausmachen muss.

Von daher, von meiner schwäbischen Disposition und von meiner Erziehung her fällt es mir extrem schwer, auch einfach mal nichts zu tun. Denn auch dieses Nichts will ja gestaltet sein. Gerade weil ich nach zwanzig Jahren auf diesem Fleck ja weiß, dass der Winter so lange dauern wird wie eine Schwangerschaft, die nach neun Monaten der Innerlichkeit eine kurze Zeit des Freiheitsgefühls hervorbringen wird. Aber als ich dann im Garten hinter dem Grünen Baum endlich saß, erwies sich meine Entscheidung als eine richtige, denn dort herrschte, vermutlich für den heutigen Tag bloß, vielleicht noch ein paar Tage länger: das schwäbische Licht. Und ich sah vor mir: die orangefarbenen Plastikstühle in Stuttgart auf der Forststraße oder irgendwo sonst in einer Hanglage. Dass man überall dort auch hineingehen konnte, in einen Zeitschriftenladen, und dort gab es unter einer Haube die unerreicht zäh abreißenden Brötchen, mit Käse und sauren Gurken und Lyoner belegt.

Freibadfantasien: das kurze Gras heiß und spitzig. Und im Schatten der Bäume drückten die Wurzeln durch das Liegetuch. Wie man hinübergeschaut hat in die Welt der Mädchen, die Federball spielten. Wie klumpig man selbst sich fühlte, in Anbetracht dieser reckigen und dahinhüpfenden, immer fröhlichen Wesen, die erstrebenswert waren. Und wie rätselhaft es mir immer erschienen war, mit wem sie sich dann letztendlich einließen — irgendwelche Fußballspieler mit derbem Humor und ebensolchen Arten, ihnen an den Po zu greifen. (Und du hattest dir komplizierte Gedanken zu Mixkassetten und Gedichten gemacht!)

Ich aß dann, kontrapunktisch: Käsespätzle mit grünem Salat. Klar gibt es ganz schön viele Menschen in Deutschland, die bei Hitze ausschließlich Salate zu sich nehmen. Aber dann bedenke man doch die eine echte Hitze gewohnten Völker des Orients, die ja auch heißen Tee zu sich nehmen bei 50 Grad und nicht etwa iced water wie im Land der Aircondition, Amerika. Und ich will im Sommer ja auch gar nicht aktiv sein. Ich will keine Wasserbälle herumkicken, ich will gar nicht schwimmen. Ich will mich, wie Hermann Lenz das in seinem schönsten Gedicht schrieb: einrollen wie ein Weinblatt.

Und darin will ich träumen und nachdenken über das, was kommen wird: der Herbst, die Innerlichkeit und die Liebe. Ein Solar-Aggregat will ich sein nach dem Bild einer Traube, in deren Inneren sich die Hitze sämtlicher Sommertage bewahrt. Wein will ich werden, der all dies, was über dies Jahr an Absurdem geschehen, in gewandelter Form offenbart.

Oder, Steve would hate it, wie Jan Philipp Reemtsma es einst in seinem Keller geschrieben, ganz kurz vor Schluss:

»Sie wussten, dass sie nur nebeneinandersitzen konnten, beide in ihren Gefühlen isoliert, aber mit einer Hand als Brücke.«