25.8.2019

Was aber soll diese andere Natur von Gedanken sein; woher stammen die? Bei mir: aus der Natur. Ich gehe dann nicht bloss für gewöhnlich, sondern: immer, stets vor die Tür. Ich weide mich, mit den Augen bloss, am Grünen. Auch Menschen, die dort in dem Grünen umhergehen und sonstwas machen, zählen für mich zur Natur.

Live von Long Island meldet sich Martin Amis, der heute 70 Jahre alt geworden ist. Er sagt, die Familie ist das Zentrum des Lebens. Ausserdem findet er: autobiographisches Schreiben engt ein.

Wo? Natürlich auf HR2. Der Kultursender, der in den vergangenen Tagen töter gesagt wurde als tot. Gestern schrieb Jürgen Kaube, abschliessend gemeint, wie und dass. Und trotzdem mischt sich bei all dem Widerstand gegen die Abwicklung bei mir ein Gefühl ein, dass es sich insgesamt nicht aufhalten lassen wird. Dass es, trotz alledem, passiert. Und ich erinnerte mein Zusammensitzen mit dem Verleger erst neulich, immerhin «Verleger des Jahres», wir hatten Rhabarberschorlen bestellt, und er sagte «Es ist einfach nicht mehr sexy, Bücher zu verlegen, Bücher zu schreiben. Aber es bleibt uns nichts anderes, als weiterhin gute Bücher zu machen.»

Es gibt ein Gartenrestaurant, es heisst Kastanie, dort gehe ich dann meistens hin; gute Auswahl an Zeitschriften, gutes Bier, der Kaffee ist auch nicht zu verachten: ich sitze dort in einem gut ausgeglichenen Verhältnis von Sonnenlicht und Schatten. Der Kellner, er bedient allerdings nur von Mittwoch bis Freitags, stammt aus Australien. Ich weiss nicht, ob der Dreamcatcher, der am untersten Ast der namensgebenden Kastanie hängt, tja: ob der von ihm, dem Kellner dorthin gehängt wurde. Jedenfalls handelt es sich dabei um den traurigsten Traumfänger, den ich je geschaut: Wie ein Kleiderbügel, überzogen mit Wolle in den folgenden drei Farben: Vanille, Mais, Wolkenblau.

Dort, neben dem Stamm, schaute ich auf ein Mädchen, das exakt so ausschaute, wie ich früher. Sogar die Wimpern, der Pony waren gleich. Es sass dort mit seinem Vater, der andauernd mit einem Bedienstift auf seinem Telefon herummachen wollte. Der Kellner der Kastanie hat oft Probleme, die von ihm servierten Gerichte beim Namen zu nennen. Dem Gast wird es dann so erscheinen, als erkennte er sie nicht einmal in ihrer elementarsten Form wieder, wenn er, beispielsweise, sagt «So, hier die Zipfel, etwas Brot, und—ähm—der——Fränkische? Wurschtsalat.»

In der Kastanie esse ich freilich nichts. Mein Heimweg führt mich durch den Schlossgarten. Dort gehe ich mit meinem Messer durch die Reihen, man kennt mich. Ich bin vermutlich einer der wenigen, der sämtliche Kübelpflanzen, die in der warmen Zeit aus der Orangerie ins Freie gerollt werden, kennt. Daheim gibt es dann Linsen und Spätzle. Aber halt auch einen Salat aus Andenhorn, Meldenblatt, Brautmyrte und Tagetes.

Die eine Kraft, Schwerkraft, hilft mir in den Sitz vor der Kastanie. Die andere, sie ist der Physik bislang unbekannt, ist ebenso mächtig. Sie führt mich heim; zeugt den dringenden Wunsch, etwas zu schreiben.