26.1.

Es kommt mir so vor, als geschehe das in jedem Jahr schubweise, aber ist es nicht auch so, dass es gewisse Monate einfach gibt, in denen steht plötzlich wieder alles voll mit Babys? Babyfotos treffen ein per Mail – Jonas punktet mit Hightech direkt aus der Intensivstation, weil sein Baby a) sechs Wochen zu früh geboren wurde und es sich b) mit einem Virus infiziert hat, sodass ich vor allem Schläuche sehe auf dem Bild; eine Beatmungsapparatur umschließt die winzige Nase des Babys, das auf Jonas‘ nackter Brust liegt. Er trägt einen Mundschutz. Im Hintergrund ein blaues Display, auf dem die Herzfrequenz des Babys angezeigt wird, aus der weißen Decke, die flauschig aussieht, ragt etwas hervor, das vermutlich das Ärmchen des Babys ist, dessen winzige Hand wird von einer Art blauem Sensorstrumpf umschlossen, aus dem noch ein Schlauch, vielleicht handelt es sich auch um ein intelligentes Kabel, ragt. Sieht alles bedrohlich aus, ist es aber wohl nicht, wie ich Jonas‘ Zeilen entnehme: am selben Tag wie Cat Power geboren. Anne geht es den Umständen entsprechend gut.

Beim Mittagessen mit Mirna hat sie ihr Baby in diesem sogenannten Maxi Cosy hinter sich stehen, worin es schläft. Als ich das Café betrete, verabschieden sich gerade zwei andere Frauen von ihr, beide mit jeweils einem Korb und darin jeweils einem Baby. Ein neugeborenes Baby lässt sich sehr gut in geschäftliche Besprechungen integrieren. Erst schläft es, später hängt es schlaff herum. Ich frage mich, ob es in naher Zukunft genmanipulierte Babys geben wird, die niemals Zähne kriegen und auch sonst nicht weiter wachsen? Auf dem Land ist das mit den heranwachsenden Kindern nicht problematisch, man lässt sie einfach raus in den Garten oder geht mit ihnen spazieren in den Wald, bringt ihnen Fahrradfahren bei, kauft Hasen für die Kinder, baut den Hasen einen Stall.

In Berlin, oder in jeder anderen Stadt, erzwingt das Heranwachsen der Kinder einen Lebensstil, der, so beobachte ich das zumindestens um mich herum, sehr vieler Geräte bedarf und wohl auch einer intensiven Beschäftigung mit den heranwachsenden Kindern – sie irgendwohin bringen, abholen, aufpassen, dass sie nicht weglaufen, oder wenn, dann nicht dahin, sondern bloß dorthin et cetera. Ein Urban Baby, das nicht wächst und immer mega niedlich bleibt; das man immer mitnehmen kann und das nie genug Kraft entwickeln wird, um so richtig laut zu schreien (die bringen in den ersten Monaten nicht mehr Geräusch hervor als diese kleinen Dosen, die ringsum mit einem Berg- und Rinder-Panorama bedruckt waren und die, wenn man sie umwendete, in ihrem Inneren ein müdes »Muh« machten), vor allem sind sie transportabel und laufen nicht weg. Stundenlang klammern sie einem den Zeigefinger ein und schauen auf denselben Fleck in der Ferne.

In »Was geht da drinnen vor«, einem empfehlenswerten Buch über die neurophysiologische Entwicklung des Kleinkindes, schreibt Lise Eliot, die frühen Bewusstseinszustände ähnelten denjenigen von Erwachsenen auf einer Mikrodosis LSD. Außerdem habe der Mundinnenraum in dieser Phase noch die Funktion eines 3D-Scanners, weswegen Babys alles in den Mund stecken müssen – dort wird jeder Gegenstand erkennungsdienstlich abgetastet und erfasst. Es gibt ein Experiment bei Lise Eliot, da lässt man unterschiedliche Babys unterschiedlich geformte Bärte von Schlüsseln ablutschen. Dann präsentiert man ihnen Kuben, in deren Oberfläche ein Schloss eingefräst wurde, in das aber jeweils nur einer der fraglichen Schlüssel passt. Die Trefferquote ist verblüffend hoch!!!

Wahrscheinlich wird es von der Programmierung her auf einen Kompromiss hinauslaufen. Das Urban Baby kommt mit einer Art genetischer Wegfahrsperre auf die Welt, dient seinen Eltern dann einige Jahre als Quell der Freude und empfängt im Gegenzug von ihnen Liebe und Zuneigung; es rettet vielleicht sogar die eine oder andere Beziehung, weil sich das Paar gegenüber dem Baby als etwas Drittem symbolisch betrachtet, zu ihm aufschaut, sich von ihm in der Basis gestärkt fühlt. Schließlich aber, wenn es reicht mit dem Stadtleben, wenn genug Geld verdient wurde und die berufliche Zukunft gefestigt erscheint, wird das Urban Baby genetisch entsperrt, und fängt von diesem Zeitpunkt der Maßnahme an, traditionsgemäß und unaufhaltsam heranzuwachsen.

Rechtlich müsste das so gefasst werden, dass diese ersten Jahre als Urban Baby (und damit also in der Alterungswarteschleife) nicht der Kindheit zugeschlagen werden; sonst blieben ja bald alle Menschen ewig Baby und würden 160 Jahre alt!!!

(Für Etta und Teo Maria mit ❤)