26.11.

Im Rausgehen las ich auf der Titelseite des Tagesspiegels eine kurze Meldung über die Zustände auf den Flughäfen von München und Frankfurt: Hotels überfüllt, es werden Feldbetten aufgestellt. Im Internet fand ich dazu den Tag über nichts, obwohl ich immer wieder nachgeschaut habe. Dafür aber bei Georges Perec, in seiner Philosophie über den Heimatbegriff Espèces d’espaces, deren Titel etwas unglücklich ins Deutsche übersetzt wurde. Darin berichtet er von dem Plan eines Freundes, der für längere Zeit in den Flughafen umziehen wollte (vermutlich Charles de Gaulle in Paris), weil es dort mittlerweile – das Buch war 1974 erschienen – ja alles gäbe, was man zum Wohnen braucht. Es folgt dann die ellenlange Aufzählung sämtlicher Möbelstücke, Restaurants und Geschäfte, die es in den Siebzigerjahren wie heute unter dem Dach eines Flughafens gab, endend mit einem »Haufen Banken (denn es ist heute praktisch unmöglich zu leben, ohne dass man mit einer Bank zu tun hat).«

Aber »die Bedeutung eines solchen Unterfangens läge vor allem in seiner Exotik: eine mehr scheinbare als wirkliche Verschiebung der Gewohnheiten und der Lebensrhythmen, kleine Anpassungsprobleme. Die Sache würde sicherlich ziemlich schnell langweilig werden; am Ende wäre es allzu einfach und infolgedessen wenig aussagekräftig: so gesehen ist ein Flughafen nichts anderes als eine Art Geschäftspassage: ein Scheinviertel; er bietet bis auf wenige Dinge die gleichen Leistungen wie ein Hotel. Es ließe sich also aus einem solchen Vorhaben keinerlei praktische Schlußfolgerungen ziehen, weder in die eine noch in die andere Richtung.« Der Text ist, wie gesagt, etwas unglücklich übersetzt.

Und auch ansonsten war es ein produktiver Tag. Tulpen stecken in der Vase. Alles blitzt und blinkt. Der Duft von Ariel liegt in der Luft und mischt sich dort mit dem eines Schokoladenkuchens. Denn es wird schon bald wieder Sonntag. (Hoffentlich machen mir die Schnecken keine Schande!)

In einem kurzen Telefonat mit meinem Vater wurde die Meldung besprochen, dass die Hersteller von Elektroautos in ihre Fahrzeuge einen Geräuschgenerator einzubauen sich verpflichtet hatten. Bevor ab 20 Stundenkilometern die Rollgeräusche der Reifen ausreichend Warnschall produzieren, sollen eigens von den jeweiligen Ingenieuren programmierte künstliche Motorengeräusche den Fußgängern und Radfahrern das Herannahen eines ansonsten lautlosen Fahrzeuges signalisieren. Für meinen Vater, auf dessen Visitenkarte unter seinem Namen die Berufsbezeichnung »Akustik und Schwingungen« stand, war dies eine lustige Nachricht. Vor allem ja, weil er sich vierzig Jahre lang vor allem darum gekümmert hatte, die Autos so leise wie nur möglich zu machen. Am Ende seines Arbeitslebens gab es aber bereits Geräuschdesigner, die beispielsweise den Zuschlagesound einer Tür besonders satt und wertvoll klingen lassen sollten. Ich spürte, obwohl wir das Telefonat ohne Videobild machten, auch Wehmut mitschwingen in seinem Lachen; er hatte bestimmt sehr große Lust, in dieser noch einmal ganz neuen Epoche der Automobiltechnologie selbst mitzumachen (und was er anzumerken hatte, war deckungsgleich mit den Prophezeiungen in der Zeitung: diese künstlichen Motorgeräusche würden eher dunkel und brummend werden, weil ältere Menschen die höheren Töne nicht mehr gut wahrnehmen können).

Eine volle Dreiviertelstunde vor der vom iPad empfohlenen Schlafenszeit zu Bett. Ansonsten halte ich mich strikt an seine Anweisungen, insbesondere was die Stunde des Aufwachens betrifft. Und was soll ich sagen: es tut mir gut. Sehr gut sogar. Allerdings vergesse ich durch diese neue Weckprozedur sämtliche Träume. Es sei denn, ich wache noch vor dem iPad auf, wie eben, als ich gerade an der Theke der Fleischerei Haase stand und mit der Verkäuferin über das Gänseschmalz sprach, von dem sie mir eine Kostprobe auf einem dreieckigen Stück ungetoastetem Toastbrot überreicht hatte. Woraufhin ich mit diesem für mich ungenießbaren Dreieck zwischen den Fingern vor ihr stand wie angemalt, bis ich es mit einem einzigen löwenhaften Biss sozusagen vernichtete, um unserer Szene ein Ende zu bereiten. All das hatte sich genauso zugetragen wenige Stunden zuvor. Es handelte sich also genaugenommen um gar keinen Traum, sondern um eine Wiederholung, das war mir auch schon beim Betrachten des Traumgeschehens klar geworden, was das Filmchen nicht unterhaltsamer gemacht hatte. Manche meiner Träume sind eben Trash. Da hilft bloß noch das sogenannte Glotzen. Von daher war der Übergang vom Träumen und Schlafen in den Wachzustand ein fließender, der mit einem Geräusch aus der Realität akzentuiert wurde. Das Telefon vibrierte. Es war 11 Minuten nach 4, noch knappe zwei Stunden, bis meine Schlafenszeit vorüber war. In seiner SMS erkundigte sich Jan, ob ich noch immer daß mit ß schreiben würde, und dies dann im Nachhinein korrigieren ließe. Ich antwortete selbstverständlich postwendend. Wahrheitsgemäß stellte ich fest, dass ich mir mittlerweile angewöhnt hatte, dass mit zwei s zu schreiben. Allerdings nur hier.