26./27./28.

In der Nacht vom Samstag auf Sonntag schlief ich so lange und viel wie schon lange nicht mehr und wie noch in keiner Nacht zuvor in diesem Winter. Diese Nacht, vom 26. auf den 27. Februar, war der Winter. Als ich einmal, kurz, gegen 5 Uhr erwachte, konnte ich mir vergegenwärtigen, dass es weit draußen hinter den Vorhängen ein Lied gab, das ich kannte – ich hörte genauer hin (im Dunkeln kann es einem ja gelingen, seinen Hörsinn auf etwas in vager Entfernung zu richten und sich dann darauf ganz zu konzentrieren wie mit einem Fernrohr, sodass sein Klangbild schärfer wird), tatsächlich: Die Nachtigall war zurück. Dann schlief ich weiter, viele Stunden, und als ich ausgeschlafen, war der Frühling da.

Mit allem.

Am Samstag war ich noch mit Markus durch den nackten Wald gegangen, jetzt zeigte sich dort immerhin schon seidige Luft am Himmel und abgerissene Wolkenbäusche trieben vor dem Blau. Als wir dann gestern bei der Mutter Fourage im Garten saßen, schien uns für mindestens zwei Stunden am Stück die Sonne ins Gesicht. Kiefernstämme leuchteten: Es gibt nichts Schöneres für mich unter den Bäumen. Und als wir durch das Villenviertel heimwärts gingen, hieltest du mich am Arm fest. Aus dem Wipfel hinter der Mauer kam das Lied der Amsel und fügte der Melodie des Frühlings das Entscheidende hinzu. Kaum zu beschreiben, im Augenblick des Wiederhörens sofort wiedererkannt. Ton für Ton.

Der Schlaf alleine dann: längst nicht mehr so lang, vermutlich auch nicht annähernd so tief. Als ob in der Samstagsnacht etwas Pflanzenhaftes geschehen war mit uns; etwas dem Geschehen tief im Frühjahrsboden Vergleichbares, wo ja auch vor einer Woche noch, als ich die Schnecken vor die Tür gesetzt, die Schneeglöckchen schon ihre zwiebeligen Triebe vorgestreckt hatten, und jetzt gab es bei der Mutter Fourage schon Zweige mit Weidenkätzchen in zwei Farbnuancen (klassisch gelblich und rosa), Magnolienknospen (in Holland vorgetrieben, denke ich), und alles deutete hin auf die ersehnte Explosion um uns herum. (Ich kann mich noch gut an die Zeit hier im Wald erinnern. Am schönsten wirkt es bei der Fahrt mit der S-Bahn, dann sieht es so aus, als hingen zwischen den Baumstämmen dichte Wolken maiengrünen Staubs.)

Beim Menschen ist es eine Implosion. Nach dem langen Schlaf besteht sie aus winzigen Lichtsamen. Eine Pusteblume mit Glühwürmchen besteckt. Und beim Einschlafen, wieder allein, fragte ich mich: Wie bringst du eigentlich den Mut auf, Nacht für Nacht seit so vielen Nächten allein zu schlafen? Das muss doch für Tausende von Jahren etwas Furchteinflößendes gewesen sein für die Menschen. So sehr, dass die gar kein Auge zutun konnten vor Angst. Und damals wussten die noch nicht einmal, dass sie sich auf einem Planeten befanden; geschweige denn: allein im All. Oder dass es noch Tausende von anderen Artgenossen gab, alles Menschen wie sie, von denen aber genau im selben Moment wie sie, genau die Hälfte ebenfalls schlafen ging. Sodass die eine Hälfte bald wehrlos der anderen Hälfte ausgeliefert daliegen würde wie tot. Und keiner schaute zu.

Um 5 Uhr dann wieder die Nachtigall. Bald würde ich bei offenen Türen leben und schlafen können. Der Winter war, seltsam, beinahe vergessen. So beinahe wie diese Erinnerung an einen, der nur einen Tag zu Gast war.