27.2.

Gestern war ein seltsamer Tag. Bald kam es mir so vor, als ob ich mich durch einen Remix bewegte, als fänden da andauernd Begegnungen statt, die sich genau so, bloß halt anders, schon einmal ereignet hatten. Und in einer Restaurantkritik tauchte wie eingeklebt plötzlich ein Wort auf, das eindeutig aus einem Brief von mir an die Muse ausgeschnitten ward.

Abends saß ich dann beim Friseur und dort wurde mein seltsames Lebensgefühl noch verstärkt, denn ich war dort schon seit sieben Monaten nicht mehr gewesen. Aber es ändert sich im Salon von Robert Stranz nie etwas, es sieht immer alles so aus, wie es schon immer ausgesehen hat, und sämtliche Szenen, die sich dort abspielen zwischen Robert Stranz und Steffen Pfeiffer und zwischen Robert Stranz und Steffen Pfeiffer und ihren jeweiligen Kunden, ähneln sich. Sogar die Musik ist seit Jahren dieselbe. Ich habe diese Frage noch nicht gestellt, aber ich vermute, dass dieses ultrakonservative Konzept als eine Art Beruhigungsmittel angeboten wird, denn die Vorstellung, dass Haare wachsen, also immerzu, auch nachts, ist ja im Grunde mindestens so bedrohlich wie der Gedanke an Bakterien.

Steffen Pfeiffer, der einer veritablen Dynastie von Friseuren entstammt, denn schon sein Vater wie auch sein Großvater haben diesen Beruf ausgeübt, ist der erste Friseur, den ich aufgesucht habe, und der mir nicht schon bald auf die Nerven ging.

Neulich bin ich in der Invalidenstraße an einem dieser mittlerweile doch extrem zahlreichen Salons vorbeigekommen, die sich ausschließlich männlicher Kundschaft anbieten und mit rotweißblau-gestreifter Drehstange, Ledersitzen und halt Bartpflegeservice so ein ausgedachtes Williamsburg mimen. Gleich daneben auch immer ein Burgerladen, ist leider so. Also betrat ich den, es war niemand drin, außer dem Bartpfleger selbst und der machte an seinem Telefon herum, also fragte ich ihn, ob er mal kurz den Bart etwas in Form bringen könnte, denn ich hätte in letzter Zeit Angst, meiner langen Haaren wegen einen Isadora Duncan-haften Tod zu sterben, wenn nun doch die Fahrradsaison bald wieder losgehen dürfte - Hashtag Blaues Band.

Er schaute mich an und sagte »Hast du eine Membership bei uns?«

Was ich verneinen musste. Woraufhin er mich bat, in neun Monaten wiederzukommen. Bis dahin hätten sie mit ihren Members zu tun.

Tja, sagte Steffen.

Tja, sagte Robert, so ist das bei denen.

Dem extrem unauffällig gestalteten Schrank entnahm Robert daraufhin einen monströs klobigen, dabei ultrabillig aussehenden Föhn aus silbernem Plastik, an dessen Mündung sich eine Art schwarze Multikaktee befand. Die Kundin, der er sich – dazu muss man wissen: Robert Stranz, ehemaliger Profi-Skater, ist von seinem Wuchs her etwas größer noch als Mathias Döpfner geraten –, also diese Kundin mit den nassen Haaren musste selbst lachen, als Robert Stranz sich mit diesem albernen Gerät von hinten in ihr Spiegelbild herein bewegte. Aber, so Robert Stranz: Es handele sich hierbei um den geräuschärmsten Föhn der Welt.

Und - tatsächlich.

Keiner wollte dieses schöne Geräusch übertönen, also sagten wir alle eine Weile nichts und Steffen machte sogar die Musik aus, während der Föhn so geräuscharm wie noch nie sein trocknendes Werk vollendete.

Danach wurde der Föhn wieder in den Schrank geräumt, wir unterhielten uns knapp über die essentiellen Themen, also Bartpflegeprodukte (ja oder nein, wenn ja, dann welches? David Mallett versus Aesop? Von der Konsistenz her Mallett; unverständlich allerdings die Entscheidung, dass das jetzt auch parfümiert wird, wobei das ein zarter und irgendwie sympathischer Duft ist - trotzdem! Dann: Shampoo? Prinzipiell ja, bloß welches? Imposante Fülle von L’Oréal bleibt von seinem Effekt her nicht zu schlagen, riecht aber derart übel; Anti-Substanzverlust von Syoss, das ich jetzt verwende, geht aber). Da war Steffen auch schon fertig und präsentierte mir im Handspiegel meinen seidig glänzenden Hinterkopf.

Ausgezeichnet, sagte ich.

Ja, sagte Steffen.

Doch, meinte Robert, ein gelungener Gegenentwurf zu Axel Wallrabenstein.

Brauchst ´ne Quittung, fragte Steffen.

Nein danke. Wenn ich erst Friseurbesuche wieder von der Steuer absetzen kann, wie ich in den Neunzigern die Rechnungen von Helmut Lang als Berufskleidung geltend machen durfte, dann gehe ich auch wieder wählen.