28.11.2019

Zum Mittag ins KaDeWe, dort war ich mit dem Fotografen verabredet — vor allem, weil wir uns die umgebaute Schlemmerabteilung anschauen wollten. Vom Bahnhof Zoologischer Garten kommend, führte mich mein Hinweg zwangsläufig über den Weihnachtsmarkt. Auch der Breitscheidplatz war zu diesem Zwecke umgebaut worden. Selbst als harmloser Fussgänger fand ich es schwierig, mir überhaupt einen Zugang zum Marktgeschehen zu bahnen, da dieser Platz jetzt geradezu eingeigelt wird von einem physischen Sicherheitssystem dergestalt, dass auf Anhieb von einer der beiden, den Breitscheidplatz mit der Gedächtniskirche wie Gabelströme eines Flusses fassenden Verkehrsadern kommend, kein Durchkommen erwünscht scheint. Der Marktbesucher sieht sich hier zunächst mit einem Wall aus palisadenhaft dicht beieinander aufgepflanzten Christtannen konfrontiert, deren rot lackierte «Töpfe» mit Blei ausgegossen wurden, wie es scheint. Hat man sich dann erst über eine zu beiden Seiten mit leuchtend gelben Warnkeilen markierte Schwelle hinter die Baumfront eingefädelt, fällt ein circa drei Meter breiter Kordon vergleichsweise angenehm auf, denn er besteht aus leer (-gelassen) -em Asphalt; ein graues Band, das naturgemäss bis zu dem in für Westberlin üblicher Höhe gesetzten Randstein aus Granitblöcken reicht, um dort nahtlos an den Asphaltbelag des Trottoirs entlang des Breitscheidplatzes anzuschliessen, das freilich im Zuge der für die Durchführung eines Weihnachtsmarktes seit dem Ereignis vom 19. Dezember 2016 nötig gewordenen Sicherheitsmassnahmen dicht mit den vielerorts üblich gewordenen Betonklötzen verstellt wurde, deren einzig weihnachtliche Qualität darin bestehen dürfte, dass sich Kleinkinder von den auf deren Oberseite aufgegossenen Noppen an die auf ihren Wunschzettel diktierten Legosteine erinnert fühlen werden.

Mit dem Durchschreiten dieser letzten Barrikaden betritt man den Weihnachtsmarkt und steht damit vor den Treppenstufen in jenem Fundament aus Beton, auf dem sich das blockhafte Kirchenschiff von Egon Eiermann, angebaut an den im Krieg ruinierten Turm der Gedächtniskirche, erhebt. In die Treppenstufen wurden die Namen und Nationalitäten der am 19. Dezember 2016 ermordeten Weihnachtsmarktbesucher eingelassen. Auf den Stufen stehen Grablichte, es sind Blumen und Flauschtiere abgelegt. Die Hütten der Marktgastronomie wurden sämtlich vom selben Markthüttenverleiher geliefert, was dem Weihnachtsmarkt selbst eine leblose, an ein Geisterdorf denken lassende, Stimmung beschert. Die leis abgespielten Winter- und Weihnachtslieder machen das nicht besser. Insbesondere nicht tags. Die Entscheidung — ob um die Geschlossenheit des durch die Einheitshütten eingeschlagenen Kurses eines einheitlichen Erscheinungsbildes zu verstärken, ob um das bei erster Besichtigung des Modells als zu einheitlich empfundene Erscheinungsbild aufzulockern, blieb für mich unmöglich zu entscheiden —, die Hüttengastronominnen und -gastronomen in eine Kostümierung nach dem Vorbild desjenigen der Bevölkerung des Sparkassencomicdorfes Knax zu stecken, verfehlte leider die erheiternde Wirkung auf mich. So sie denn von sogenannt Höherer Stelle überhaupt intendiert war und nicht der Ratlosigkeit, einer Schnapsidee oder gar Menschenverachtung entsprungen war, was ich nicht hoffen will.

Aufgrund welcher Überlegungen gleichwelcher Art es den Stand eines «Fröhlichen Friesen» auf diesen Marktplatz der Trostlosigkeiten verschlagen haben mag - man traut sich schon gar nicht mehr nachzudenken. Auch nicht, und diese Frage stellt sich dann trotzdem andauernd, während man den Marktplatz im Spurt nimmt: was denn dies alles mit Weihnachten zu tun haben soll. Die nun in einem anderen Sinne als rettend empfundene Demarkationslinie aus Monsterlego und Bleibäumen hinter sich lassend, bleibt natürlich auch nicht aus, den Kordon mit dem unseligen Todesstreifen hinter dem «Antifaschistischen Schutzwall» assoziieren zu müssen.

Im weihnachtlich dekorierten Schaufenster des Spielwarengeschäfts neben dem KaDeWe wird der «Imperiale Sternenzerstörer» von Lego ausgestellt. Er ist circa anderthalb Meter lang und besteht aus tausenden betonfarbenden Plastikklötzchen. Die von den Gewerkschaften empfohlene Bauzeit beträgt 36,5 Stunden. Kostenpunkt: 699,— Euro. Wir sind im Westen angelangt.