28.12.2018

Gestern mittags noch smorzando, dabei aber von unten her schon schäumend. Genesung nahte, so wie es heißt: ich fühlte mich beinahe über dem Berg (das Wiedererlangen der Gesundheit als Schein hinter dem Pass.)

Ein erster, kurzer Gang im Draußen, nach dem Einkaufzentrum Skyline Plaza, wo es gleich wie vor den Ruhetagen emsig zuging in den festlich spiegelnden Etagen. Die Skyline selbst macht dieser Tage wenig her, wird von den Knöcheln an in bronchitischem Nebel verborgen. Teenager hielten sich auffällig die nagelneuen iPhones ans Ohr—möglichweise mit keinem Teilnehmer verbunden, einfach so; just for show.

Was ich daheim nicht zur Verfügung habe als Anschauungsmaterial studiere ich hier umso lustvoller: die Balkons der anderen. Gerade jetzt, in der unwirtlichen Jahreszeit stapeln sie dort auf ihren Balkons von bananenförmigen Sportsäcken bishin zu ganzen Küchenzeilen sämtliches, was sie in den sogenannten vier Wänden nicht sehen wollen, auf dem Balkon. Den aber sehen all die anderen im Geviert des Hinterhofes. Gerade so, als suchte man sich ein Brillengestell nach der Maßgabe »irgendeins« aus, weil man es selbst ja nicht ansehen muß. Dazu fand ich, noch halb fiebrig im Prachtbande von Rattelschneck einen Strip, da hatte sich der eine, Brillentragende, eine zusätzliche, und seine eigentliche Brille überwölbende, aus Spiegelfolie gebastelt, der andere wies ihn auf deren dämliche Machart hin—sie sei noch häßlicher als die ihm notwendige, woraufhin der ihm wiederum versicherte, er könnte seine darunter sich befindliche, wohl wenig schöne Kassengestellsbrille sehr wohl noch sehen »ich habe sie jederzeit vor Augen,« was sein Gegenüber aber nicht gleich verstehen konnte (er spiegelte sich ja bereits in der darüber gestülpten Bastelbrille aus Folie.) Auflösung des Bastlers: Einseitig verspiegelte Folie war aus.

In der Mailbox die Neuauflage des Erfolgsalbums von Metronomy, das eine Zusatzplatte mit unveröffentlichtem Material enthält. Holiday (Bedtime Dub) scheint mir der Hit. Froh dabei, nie über Musik schreiben zu müssen für Geld. Kritik an der Musik, andauernd, schon seit ich denken kann, unermüdlich, tags wie nachts, allein und vor anderen, da allerdings zurückhaltender, schon mehr auf Übereinstimmung hoffender. Innerlich jedoch radikal.  

Christoph Ransmayrs Rede anläßlich der Verleihung des Heinrich-Kleist-Preises an ihn selbst, abgedruckt im heutigen Feuilleton bringt das Gewaltige des Schäumens heraus mit dieser Wucht, die mich einst bei der Lektüre Der Letzten Welt erfasst, erschüttert und seitdem nie mehr losgelassen hat. Ein von musikalischen Rhythmen getragenes Schreiben von Felsen und vom »wie kochenden Wasser«, womöglich das Ideal für Claas Relotius, der dann, das anzielend, nur wenig darunter im Kitsch gelandet ist. Vor allem eine Frage der Etikettierung, wie mir scheint. Es wird sich niemand aufmachen müssen, um nachzuprüfen, ob das denn alles so seine Richtigkeit gehabt haben wird, mit den Lebensbedingungen der Großeltern Ransmayrs—ob es gar zu schrecklich war, um wahr zu sein. Ransmayer veröffentlicht spärlich, schon gar nicht außerhalb seines inneren Interessensgebietes, stets Literatur. Absolute Freiheit. Rhapsode, Reporter, ein unerbittlicher Unterschied. Man kann sich jederzeit absolut frei entscheiden. Bloß macht Freiheit halt arm.