28.3.

Zunehmenden Gefallen finde ich an der Idee einer Dringlichkeit. Zwar könnte ich weiterhin Einträge verfassen, in denen manchertags stünde »Nichts ist passiert«, andererseits früge ich mich dann selbst, wozu. Freiheit entfaltet sich in mir, im Gegensatz zur Architektur verhält sich das mit der Ruinenperspektive in der Literatur ja genau umgekehrt: von weither, nach all den Jahren betrachtet, sind stolze Stätten entstanden (damals war’s noch zerschossen und lückenhaft).

Vorbild bleibt Peter Handke, der Meister. Es ist eine lebensverlängernde Maßnahme, denn wenn ich es nicht mache, wächst kein Peter Handke mehr nach. Im wunschlosen Unglück schreibt er in den ersten Sätzen, dass – seine Mutter hatte sich gerade umgebracht – er auch genauso gut auf der Schreibmaschine den immergleichen Buchstaben auf das Papier hauen könnte. Seitdem ich das zum ersten Mal gelesen habe, ist das mein Ideal.

Nach zwei Tagen von n’importe quoi schlief ich sehr lang. Das hatte auch mit einer riesigen Menge von Austern zu tun, die ich in der Paris Bar zur Blutwurst gegessen hatte. Es stimmt wohl: Eine Proteinzufuhr im Übermaß kurz vor dem Zubettgehen sorgt für tiefen Schlaf (vom molekularen, molusken und intermuskulären Geschehen abgesehen, wohl auch aus psychischen Gründen, weil es nämlich köstlich schmeckt).

Schön dann die Sonne. Lino rief mir von Weitem einen Gruß zu über das Feld. Wir hatten uns, das nahm er persönlich, aber zum Glück nicht allzu sehr, schon seit vielen Wochen nicht mehr gesehen. Mir waren nachts die Pilze aus Plastik aufgefallen, die in der Erdoberfläche des Vorgartens steckten. Sie gaben surrende Geräusche von sich, wenn ich im Dunklen an ihnen vorüberging. Nun sah ich sie bei Tageslicht. Die Sonnenwärme entfaltete sich am Himmel über uns beiden. In den Pilzkappen war unter dem Dunst des Morgentaus jeweils der Streifen eines Sonnenkollektors zu sehen. Ab und an kam von ihnen ein Surren.

Lino, listig: »In Deutschland sind die verboten. Ich habe sie von einem Polen gekauft.«

Es handelte sich um maulwurfsvergällende Geräte. Der oder die Maulwürf/e hatte/n ja in den vergangenen Wochen das gesamte Fußbaldfeld im Vorgarten unserer Künstlerkolonie in ein vulkanisches Gebiet verwandelt. Unvergessen war sein übergriffiger Bau direkt vor meiner Wohnungstür, als er dort, unmittelbar vor meinen Schuhspitzen, eines Morgens den Kies auf dem Weg zum Übersprudeln gebracht hatte.

Diese Pilze sandten nun in unregelmäßigen Abständen Terrorgeräusche in die unterirdischen Gänge, die der oder die Maulwurf unter dem Fußballfeld grub/en.

Lino, ganz richtig: »Der Maulwurf steht unter Naturschutz, ich nicht.«

Wir sprachen dann noch über die Lungentransplantation seiner Frau. Der Anruf kam an jenem Abend, als der Orkan gewütet hatte (22. Februar), weshalb der Hubschrauber nicht abheben konnte vom Dach der Charité, und Linos Frau dann letztendlich mit einem Blaulichtttransport in die entfernt gelegene Klinik zum dort eingetroffenen Spenderorgan gefahren werden musste. Mittlerweile geht es ihr gut. Wie Lino zum Abschied anmerkte, wurde die erste Transplantation einer menschlichen Leber von einem Portugiesen durchgeführt, der wohl noch immer am Leben ist. Und da war ihm ein aufs Nationale bezogener Stolz anzumerken wie sonst nur beim Fußballspiel. Lino wies darauf hin, dass eine Herzverpflanzung vergleichsweise easy ist, wohingegen Lunge oder Leber!

Abends ging die Sonne dann erwartungsgemäß spektakulär unter. Ich nahm mir alle Zeit und ging dem großen Bluten auf der Kantstraße entgegen. Als es kühler wurde, wechselte ich die Straßenseite, ich überquerte den breiten Strom und dachte an Julian Casablancas (River of Brakelights).

Schon seltsam, wie ich auflebe, wenn endlich wieder normales Wetter ist. Wie so eine Topfpflanze. Ich liebe die Sonne, ich liebe die Wärme, ich liebe das Licht.