29.12.

Eingeschlafen in der Gewissheit, dass ich am Morgen wieder befreit sein würde und gesund. Den ganzen Tag hatte ich mit Lesen verbracht, das geht ja komischerweise selbst dann noch, wenn das Denken sonst unmöglich scheint. Aber aufsaugen, empfangen kann mein Gehirn selbst noch unter der Schnupfenglocke*. (Blind werden, wie Borges und sich dann alles nur noch vorlesen lassen können, stelle ich mir schrecklich vor, anstrengend vor allem, weil ich mich dann vermutlich sehr beherrschen müsste, um alles genau registrieren zu können und mir nicht, noch während ich es eingetrichtert bekäme, dazu die sogenannt eigenen Gedanken zu machen; in einer solchen Situation könnte ich mir den leichtsinnigen Umgang mit den Informationen nicht mehr leisten. Sämtliche Wahrnehmung würde verschult, weil ich als Blinder dann unmündig geworden wäre.)

Ob man dann spürt, am Luftdruck eventuell, an den Geräuschen, die aufgrund des veränderten Luftdrucks anders als sonst, klarer, schneller, an den durch die Blindheit mächtiger gewordenen Hörsinn gelangen, dass es ein schöner Tag wird? Es wird auch einer, das konnte ich erkennen, schon bevor die Sonne aufging, am klareren Grau der Fassaden vor dem Fenster, an denen dann zum Kaffee schon erste Sonnenflecken erschienen waren. Kondensstreifen natürlich, die, weil es wohl noch kalt ist dort oben, klar definiert und schmal im Himmelsgrau erschienen und die wie die Säulen des Dampfes, den Botho Strauß korrekt als Wrasen bezeichnet, der aus den sieben Schloten der Gebäude, die vom Fenster aus zu sehen sind, von innen heraus leuchteten, bevor die Sonne aufging. Dazu Vogelstimmen, vor allem Amseln. Denen geht es wie mir, dem gesundeten Kranken: Kaum scheint die Sonne wieder, ist die Sonnenlaune voll da.

* Und in dem Fall muss ich halt auch leider sagen leider, denn wie in jedem guten Wartezimmer lag hier die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Neon herum, deren Lektüre für mich jahrelang zu den guilty pleasures zählen durfte, aber was ich da gestern serviert bekam, schaffte es nun wirklich, keinerlei Freude zu bereiten. Das herrliche Schuldgefühl, das sich einst noch bei jedem Blättern in einer Ausgabe des Studentinnenreports verlässlich eingestellt hatte, blieb aus. Schnöde ist ein glimpfliches Wort. Im Grunde trifft selbst Spießorama nicht zu. Egalon. Ich musste an Gabriele D’Annunzios Erzählung Der Märtyrer denken. So, wie er darin die Notoperation eines an einem Furunkel leidenden Matrosen beschreibt, genau so werden im Verlag Gruner+Jahr halt seit jeher und immer noch die Zeitschriften, die dort als »Objekte« geführt werden, repariert. In meinem Fall aber hatte diese an der Wand entlang gekachelte Methode offenbar Wirkung gezeigt, denn so wurde ich schließlich durch meine Furcht geheilt. Nicht einen Tag länger hätte ich es bei dieser Wartezimmerlektüre noch aushalten wollen. Und so fühlte sich mein aufs geistige Überleben fixierte Gehirn zu einer Blitzheilung angespornt.

Doch nun: hinaus an die Sonne, um letztes Niesen zu erlösen.