29.4.2019

Erledigt, aber halt leider nicht müde. Fernsehen wäre genau das richtige gewesen, aber ich habe hier keinen (und auf dem Telefon fernsehen, dafür bin ich zu alt.) Über den Tag hatte ich mehrfach das Bedürfnis verspürt, zu malen. Erschien mir nicht einmal als Wunsch nach einer Übersprungshandlung, sondern wahrhaftig. Auch das Motiv war mir klar, es war vor mir im Halbschlaf aufgetaucht: im Stile Segantinis an einer kahlen Wand im Gebirge, wo ein früher Eidgenosse in einer Höhle lebt. Aus deren Schatten er soeben herausgetreten ist halbnackt, mit einer frühen Lederhose angetan, um in der Morgenröte furchtlos einen brüllenden Bär, der sich dort auf seinen Hintertatzen an dem Unterstand mit den Molkereivorräten des Menschen gütlich getan, zu verjagen. Dies mit Hilfe einer langen, starken Stange, im Grunde Stamm einer Esche, an deren Wipfel das Schweizerwappen gefügt aus Fetzen von Bärenfellen befestigt ist; der Wind reisst ihm die Fahne schon beinahe aus den Fäusten, doch er widersteht.

Das würde Monate brauchen, alleine um den Berg mit Wolkenhimmel gut hinzukriegen. Oder die Fellflagge im Wind. Da fiel mir der Gedichtband ein von Gerhard Falkner, »Schorfheide«—Gedichte gehen ja immer. Und nach den ersten zwei Kapiteln fand ich die sogar richtig gut und im ganzen unterhaltsam. Sie heißen alle gleich (nämlich Schorfheide) und beackern sozusagen die gleichnamige Landschaft zwischen Brodowin und Prenzlau, die ja für vermögende Berliner zum Green panel de rigeur geworden ist. Sehnsuchtsort auch. Und beim allwochenendlichen Wandern in die Überwältigungsfalle der Natur hinein entstehen die Gedichte. Ging übrigens schon Brecht so in seinem Buckow. Dem widmet sich Falkner in seinem den Band beschliessenden Gedicht, in dem er Brecht nachweist, das der von Bäumen, obzwar von ihnen umgeben keine Ahnung hatte; noch nicht einmal, wenn er sie anzudichten versuchte. Wahrscheinlich war Brecht, wie angeblich viele Männer, nicht einmal baum-, sondern bloß farbenblind.

Das erheiterndste aber war für mich dieses hier:

SCHORFHEIDE

Was geht hier ab

mich so aus tausend runden Augen

anzupixeln, mir mit Gewalt das Maß

der Dinge auf den Leib

zu schneidern

die Pappeln flüstern zu den

bleichen Buchen: suchen! suchen!

nie werde ich so sehr als Frage 

aufgeworfen, wie wenn ich im Gebiet

des Sommers mich als Landschaft durch 

die Gegend trage

das Licht durchwühlt nicht nur die Heide

das ganze postmoderne Wissen

wird in die Suche mit hineingerissen